Der Schleswiger Landrat "Hannes" Hagge 1893-1964
von Falk Ritter, 1. Juli 2007

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* Bild 1: Johannes Hagge 1949

1893-1945
Johannes Hagge ist allen älteren Schleswigern ein Begriff. Im Volksmund hieß er "Hannes mit de groote Hot" oder auch Hannes mit de Näs". Er hatte beides.
Die Hagges kamen aus Ellingstedt, wo der Großvater Jürgen als Häuerling (Gutstagelöhner) sein Brot verdiente. Johannes Hagge wurde am 4. Mai 1893 in Schleswig als Sohn des Lohgerbers Claus Hagge und seiner Frau Christina Dircks geboren. Claus Hagge war bei der Lederfabrik Knecht & Wördemann beschäftigt, seine Frau "plagte sich für andere Leute". 1) Johannes hatte noch sechs Geschwister, wovon insbesondere der Friedrichsberger Kohlenhändler Willy Hagge zu erwähnen ist. 2) Johannes besuchte die Volksschule und verdiente sich schon als 7jähriger Geld als Zeitungs-, Bäcker-, Kegel- und Kesseljunge, worauf er später immer wieder stolz hinwies. Den Beruf des Kaufmannes erlernte er in der Bahnspedition und in Lebensmittelagenturen. 3)
1912 kam er zum Militär. 1915 wurde er Sergeant bei der Betriebs Abt. der Eisenbahn Truppen und 1919 in Berlin aus dem Militär entlassen. Wegen 15 % Erwerbsunfähigkeit erhielt er eine monatliche Rente von 38,40 Mk. 4) Am 9.7.1919 bedankten sich Johannes Hagge und Frau Dora geb. Spetzke für die vielen Aufmerksamkeiten anläßlich ihrer Hochzeit.
Die erste Geschäftsanzeige erschien am 29.11.1919 :
"Kaufen Heu und Stroh, Steckrüben, Runkelrüben, rote Möhren und sämtliche Landesprodukte zu höchsten Preisen. Hagge & Dierksen GmbH, Schubystr. 23b, Fernsprecher 473, vom 1. Januar ab: Kornmarkt 5"
Anläßlich des Kapp-Putsches 1920 stellte Hagge dem Aktionsausschuß (DDP, SPD, USPD) einen LKW zum Transport von Waffen zur Verfügung. 5) 1921 verkauften Hagge und Dierksen am Gallberg 2 Weizen, Gerste, Hafer, Rotklee, Weißklee, Schwedenklee, Knaulgras, englisches Raygras, Wurzel und Rübensaat, Mais und Ackerbohnen.
1922 wurde Tochter Käthe später verh. Pose geboren, 1924 Sohn Jürgen und 1927 Sohn Claus.
1922 starb seine Mutter. Seinem Vater, der 1925 starb, hatte er 1919 ein Zigarrengeschäft in der Michaelisstr. 22 eingerichtet.
Seit 1923 wurde der Compagnon Diercksen in den Geschäftsanzeigen nicht mehr erwähnt. Wegen der Inflation ging Hagge zum Tauschhandel über: Tausche Korn gegen Lebensmittel, Johannes Hagge
SN 25.4.1925: "Das Bahnhofshotel eröffne ich am Sonntag nach vollständiger Renovierung. Neu eingerichtete Hotelzimmer empfehle ich: Gute Speisen und Getränke zu soliden Preisen sichere ich zu. Meine Stallungen stehen für Ausspann zur Verfügung. Mein Unternehmen bitte ich gütigst zu unterstützen. Schleswig, den 25. April 1925, Johannes Hagge, Friedrichstraße 57, Fernsprecher Nr.6" 6)
1926 erfügte er über drei Verkaufsstellen am Gallberg 2, Lollfuß 71 und in der Hühnerhäuser-Mühle.

1927 zog der Klempner Poggensee im Gallberg 2 / Kleiner Baumhofsgang ein. Dort entstand 1929 ein "Großfeuer auf dem Gallberg:
"Ein Schuppen mit Futtervorräten, Kraftfahrzeuge usw. niedergebrannt, Ein Pferd in den Flammen umgekommen, Eine Werkstelle von Klempnermeister Poggensee gleichfalls durch Feuer zerstört. Heute nacht gegen 2 Uhr ertönte in den Straßen unserer Stadt wiederum das Feuerhorn und schreckte die Einwohner aus dem Schlaf. Gegen 1 1/4 Uhr war in dem großen Schuppen von Johannes Hagge am Gallberg ein Feuer zum Ausbruch gekommen, das in dem Fachwerkbau mit rasender Schnelligkeit um sich griff und innerhalb kurzer Zeit den Schuppen sowie die angrenzende Werkstelle von Klempnermeister Poggensee in ein einziges Flammenmeer verwandelte. Nachbarn waren schnell zur Stelle,um die erste Hilfe zu leisten. Auch die freiwillige Feuerwehr ließ nicht lange auf sich warten. Aus zahlreichen Rohren wurden ungeheure Wassermassen in das Flammenmeer geschleudert. Doch war von den Gebäuden nichts mehr zu retten. Sie brannten bis auf die Grundmauern nieder. Schaurig tönte durch die Nacht das Geschrei eines Pferdes, das im Schuppen eingeschlossen war und nicht ins Freie gebracht werden konnte. Es ist in den Flammen umgekommen. Weiter fielen dem Feuer zum Opfer ein Personenkraftwagen, ein Motorrad, ein Geschäftsrad, ein Rollwagen, 100 Zentner Häcksel, 50 Zentner Stroh, 10 Zentner Heu, einige Ladeneinrichtungen, sowie sonstiger Lagervorrat. Die Arbeiter der Firma Hagge, die ebenso wie der Geschäftsinhaber sofort zum Gallberg geeilt waren, konnten einen Trekker sowie ein Geschäftsdreirad aus dem brennendem Schuppen herausziehen. Als ein Glück ist es zu bezeichnen, daß 100 Zentner Stroh, die auf der Bahn für die Firma Hagge lagerten, noch nicht in den Schuppen geschafft waren. Wäre dies der Fall gewesen, so hätte auch größte Gefahr für das Hauptgebäude bestanden. Durch dieses Feuer sind nun sämtliche drei Nebengebäude des Geweses Gallberg 2 innerhalb eines Jahres durch Feuer vernichtet worden. Der Betrieb der Firma Hagge erleidet durch dieses Brandunglück jedoch keine Unterbrechung, er wird in unveränderter Weise fortgesetzt. Herr Hagge erleidet einen großen Schaden, da Gebäude und Inhalt nur niedrig versichert waren. Die Entstehungsursache des Feuers ist bisher noch nicht bekannt. Man nimmt allerdings an, daß Brandstiftung, wie auch bei den anderen Brandfällen auf dem Gallberg, vorliegt. Eine noch in der Nacht vorgenommene Verhaftung konnte nicht aufrecht erhalten werden. Nach einer Stunde mußte der Festgenommene, der sein Alibi einwandfrei nachweisen konnte, wieder freigelassen werden. Die Brandstätte bietet ein trostloses Bild. Mauerreste, verbrannte Balken, Dachziegel, Wagenreste usw. liegen kunterbunt durcheinander. Der Kleine Baumhofsgang ist eine einzige Eisbahn. Auch die Langestraße ist an dieser Stelle kaum zu passieren. Heute morgen 9 Uhr war die Feuerwehr noch immer mit Lösch- und Aufräumungsarbeiten beschäftigt. Es ist dringend zu hoffen und zu wünschen, daß dieser, wie auch die anderen Brandfälle restlos aufgeklärt werden, damit endlich ein Beruhigung für die Anwohner des Gallbergs eintritt." 7)

1927 pachtete Hagge das Louisenbad für 1500 Mk. jährlich. Wegen wirtschaftlicher Schwierigkeiten wollte er den Vertrag 1931 vorzeitig lösen, worauf die Stadt Schleswig sich aber nicht einließ. 8)
Er bezeichnete seine Geschäfte als "Landesproduktenhandel", den er 1929 um eine eigene Kaffeee-Rösterei und um Kolonialwaren erweiterte. 1931 meldete er sich auf der Generalversammlung des Vereins für Handel und Industrie öffentlich zu Wort. 9)
Bis zum Ende des Krieges sind von ihm nur noch Geschäftsanzeigen gefunden wurden. 1937 reiste er als Tagestourist nach Dänemark.
1939 stellte er einen Antrag auf Ausstellung eines Staatsbürgerausweises, um in Hamburg Grundstücke zu erwerben. Lt. Aussage seine Enkels Hannes kaufte er sich auf der Reeperbahn und in der ABC-Straße ein. Nach der Bombardierung von Hamburg wird davon nicht mehr viel übrig gewesen sein. 10)
1940 starb seine Ehefrau.

Hagges Einkommen betrug laut Entnazifizierungsakte, wo er zum "Nichtbetroffenen" erklärt wurde:
1933: -2157 RM Verlust
1934: 3.000 RM
1935: 4.657 RM
1936: 8.903 RM
1937: 7.813 RM
1938: 15.679 RM
1939: 19.673 RM
1940: 34.670 RM
1941: 17.507 RM
1942: 31.800 RM
1943: 34.600 RM
1944: 16.814 RM 11)
Zum Vergleich: Der Schleswiger Bürgermeister bezog ein jährliches Gehalt von 7.800 RM.

Nach dem Kriege machte Hagge eine steile politische Karriere, die dadurch gefördert wurde, daß er zum Einen politisch völlig unbelastet war und zum Anderen großen wirtschaftlichen Sachverstand besaß. Ein typischer Wahlspruch von ihm war: "Dat Toflußrohr mut immer wat gröter sien als als dat Abflußrohr." 12)

* Bild 2: Hagges Haupthaus, der Gallberg 2

Hagges Ämter:
1945 Ernennung zum Stadtrat (CDU)
1946 Ernennung zum Landrat
1946 Kreistagsabgeordneter
1946 - 1957 im Vorstand der Schleswig-Holsteinischen Landesbrandkasse
1947 -1949 Landtagsabgeordneter der CDU stellvertretender Bürgermeister von Schleswig
1948 Stadtrat im städtischen Ausschuß für Stadtwerke und Grundstücke Vorsitzender des Kreisausschusses und der Fahrbereitschaft
1949 -1953 CDU-Bundestagabgeordneter des Wahlkreises 3
1950 -1957 Wahl zum Landrat Mitglied im Polizeiausschuß des Kreistages
1950-1957 Beirat in der Schleswig-Holsteinischen Stromversorgungs-AG
1952 Mitglied des Verwaltungsrates der Landesbank und Girozentrale
1953 Er tritt aus der CDU aus und in die FDP ein
1954 -1957 Landtagsabgeordneter für die FDP Einige dieser Ämter trug er gleichzeitig, wie zum Beispiel Landrat und Bundestagsabgeordneter. Und neben all diesen Ämtern war er noch ein freier Unternehmer, was nicht ohne Konflikte blieb.

Hagge setzte sich für folgende Ziele ein:
- Verbleib der Landesregierung in Schleswig
- Fortführung der Kreisbahnstrecke nach Kropp
- gegen Ferngas, Beibehaltung des Schleswiger Gaswerkes
- für die Zuckerfabrik - wurde 1953 verwirklicht
- für den ZOB - wurde 1955 verwirklicht
- für die Kreisberufsschule - wurde 1956 verwirklicht
Typisch für ZOB und Berufsschule sind die "gelben Strandziegel".
- gegen die Umgehungsstraße, dafür Erweiterung der Friedrichstraße
- für ein neues Einkommensteuergesetz; er war in Bonn im Ausschuß für Ausschuß für Finanzen und Wirtschaft

1945-1950
Am 21.9.1945 wurde der Konteradmiral a.D. Bernhard Rogge neuer Landrat in Schleswig. Er war Kapitän des Hilfskreuzers Atlantis, der im atlantischen und Indischen Ozean erfolgreich auf Kaperfahrt ging. Am 2.11.1945 wurde er ohne Angabe von Gründen wieder abgesetzt. Es wird vermutet, daß die Engländer von seinen Todesurteilen erfuhren, die er noch bei Kriegsende fällte - oder sie nahmen ihm seine erfolgreichen Kaperfahrten übel. Abgelöst wurde er von Dr.Hans Hinrichs - vorher kommissarischer Bürgermeister von Schleswig. Wegen "angegriffener Gesundheit und beruflicher Überlastung" trat Hinrichs bald wieder zurück. Am 13.6.1946 erhielt Johannes Hagge seine Ernennung zum Landrat. Diese Stellung entspricht unserem heutigen Kreispräsidenten. 13)
Eine seiner bekanntesten Reden hielt Hagge 1946 anläßlich der Diskussion um die Verlegung der Landesregierung von Schleswig nach Kiel. Christiansen schrieb dazu: "Die Stimmung war gereizt, da Johannes Hagge in einer Stellungnahme am 15.August 1946 zur Entscheidung über den Regierungssitz "grobes Geschütz" aufgefahren hatte. Er hatte mit dem Hinweis auf die Mordanklagen im Nürnberger Prozeß zur Verlegung der Landesverwaltung nach Kiel gesagt: "... in der Art und Form ... sei sie ... auch ein Mord der Demokratie ... . Wenn die Verlegung so vor sich gehe, ... verpflichtet dieses alle wahren Demokraten nicht nur zu protestieren, sondern auch alle Ämter zur Verfügung zu stellen, um nicht Mörder der Demokratie zu werden." Er hatte ferner behauptet: "Grenzpolitisch ist das Vorhaben Wahnsinn ... Die Verwaltung hat Schleswig schon für Dänemark abgeschrieben. Sie verläßt Schleswig wie Ratten das sinkende Schiff."
14) Über seine Zeit als Bundestagsabgeordneter schrieb der ehemalige Schleswiger Bürgermeister Hermann Clausen:
15) "Von 1949-1953 gehörte er als Abgeordneter der CDU und Vertreter des Wahlkreises Schleswig dem ersten Bundestag an. Da ich auch als Vertreter der dänischen Minderheit gewählt wurde, hatte Schleswig zwei Vertreter in Bonn. Wir fuhren dann oft denselben Weg von Schleswig nach Bonn und zurück und trafen uns in der Hauptstadt der Bundesrepublik am Rhein. Dieser Landrat (CDU) und dieser Bürgermeister (Slesvigsk Parti) waren "en Pott und en Pann", wenn es um Schleswig ging." Darüberhinaus gab es auch persönliche Bindungen:
Als sich Clausen darüber beklagte, daß die CDU dem scheidenden Bürgermeister Clausen nicht ihren Dank ausgesprochen hätte als sie ihren CDU-Mann als Bürgermeister gewählt hatte, "bestellte mein Kollege zwei große Dujardin, hob sein Glas, lächelte und sagte: "Prost Hermann!" Vor mir saß der im Kreis Schleswig direkt gewählte CDU-Bundestagsabgeordnete Johannes Hagge, der gleichzeitig Stadtverordneter der Stadt und Landrat des Kreises Schleswig war. Er nahm den Vorwurf ohne Erwiderung entgegen und wir blieben Freunde."

1950-1964
Am 15.5.1950 wurde Johannes Hagge vom Kreistag für 9 Jahre zum Landrat gewählt. Einmalig war daran, daß er sowohl die Stimmen der CDU als auch die der Opposition bekam. Es wurde nun von ihm erwartet, daß er demnächst seine Mandate als Stadtverordneter, Landtagsabgeordneter (Neuwahl im Juli) und später auch als Bundestagsabgeordneter abgeben würde. Diese Erwartungen erfüllte er aber nicht, denn den MdB-Posten behielt er. Darüberhinaus weigerte sich der Innenminister, Hagge als Landrat zu bestätigen, weil er nicht die fachliche Qualifikation für dieses Amt besaß. Als Hagge dann nach Kiel fuhr, um mit ihm darüber zu diskutieren, stand er vor einem leeren Büro. Er ließ nun seine Beziehungen spielen, was den Innenminister doch einlenken ließ. In den Akten des Innenministeriums kann man lesen, wie genau er weiter beobachtet wurde. Denn 1950 wurde auch ein Gerücht registriert, wonach Hagge angeblich 28.000 DM unterschlagen hätte, wofür es aber doch keinen Anhaltspunkt gab. 16) Als 1952 die Diskussion über die Aufstellung eines CDU-Kandidaten für die kommende Bundestagswahl aufkam und Hagge wieder kandieren wollte, stellte seine Partei Kai-Uwe von Hassel auf, der 1953 auch gewählt wurde. Dies nahm Hagge zum Anlaß, aus der CDU aus- und in die FDP einzutreten.
1954 zog er über die Landesliste der FDP in den Landtag ein.
Die Doppelfunktion Landrat und Bundestagsabgeordneten brachte ihn in Konflikte. 1953 warf ihm Bürgermeister Lorenzen bei der Diskussion um die Ferngasversorgung vor, vertrauliche Mitteilungen, die er als Landrat erhalten hatte, als Bundestagsabgeordneter zum Nachteil der Stadt veröffentlicht zu haben.17)
Seit 1950 bot Hagge in Anzeigen auch Spirituosen an. Süßwaren (Bonbons) bot er auch an, welche er von dem selbständigen Zuckerbäcker Johannsen bezog, der sie in seinem Hause Gallberg 2 herstellte.
Neben seinem Hauptgeschäft im Gallberg 2 mit acht Angestellten verfügte er noch über vier "Tante-Emma" - Filialen in der Friedrichstraße 45-47, Verkaufsleiter: Jäger, Pulverholz 3: Ingrid Finke, Lollfuß 39: Waldemar Mede, Eckernförde: Fick. 18) Er selbst logierte in der Dienstwohnung des Landrates im Kreishaus. Besonders aktiv war er im Immobiliengeschäft, z.B. bei Spekulationen mit den Wohnblocks in der Heinrich Philippsen-Straße.
1954 begann ein Schriftverkehr mit dem Innenministerium wegen seiner geschäftlichen Nebentätigkeiten. Der Minister sah es als unvereinbar an, daß er sich neben seiner Arbeit als Landrat auch als Geschäftsmann betätigte. Hagge stritt dies mit der Begründung ab, daß er ja eine Geschäftsführerin (Greggersen) hätte, die diese Arbeit für ihn erledigte.
Ein weiterer Fall wurde vom Innenminister minutiös observiert:
Der Gemüsegroßhändler Hinrichsen war in finanzielle Schwierigkeiten geraten. Um seine Verbindlichkeiten zu erfüllen, wollte er ein großes Grundstück südlich vom "Hühnerhäuser" als Bauland verkaufen. Die Stadt weigerte sich aber aus unerfindlichen Gründen, dieses Areal als Bauland auszuweisen. 19) So kam es in den Zwang. Hagge ersteigerte es und veräußerte es einen Monat später mit guten Gewinn an den Kreis Schleswig, der darauf die Kreisberufsschule errichtete. Hinrichsen klagte jetzt gegen Hagge vor dem Landgericht in Flensburg, bekam Recht und erhielt den Gewinn aus dem Geschäft zugesprochen. Dagegen legte Hagge vor dem Oberlandesgericht in Schleswig Berufung ein, doch schlief der Prozeß 1958 ein. 20)
Heute hätte dieser Fall in der Zeitung eine große Resonanz gefunden. Warum das damals unterblieb, lag sicher an dem Chefredakteur Dr.Fritz Michel, der selbst noch viel mehr verbergen hatte und deshalb überhaupt kein Interesse an irgendwelchen Enthüllungen hatte. 21) Hinrichsen starb 1965.
Die Konflikte erreichten 1955 einen ersten Höhepunkt, als die Stadt Schleswig gegen Hagge eine Dienstaufsichtsbeschwerde wegen Verkehrsbeschränkungen im Friedrichsberg einreichte. 22)
1956 erlitt er in einer Sitzung einen Schwächeanfall. Seitdem blieb er immer öfter wichtigen Sitzungen fern oder verließ sie ohne Begründung vorzeitig. Eine offizielle ärztliche Untersuchung, die seine Dienst(un)fähigkeit feststellen sollte, zögerte er immer wieder hinaus. Als die Diagnose Schlaganfall feststand, weigerte er sich, seinen Posten freiwillig zu räumen. Über die Gründe stellte das Innenministerium Mutmaßungen an: Brauchte er das volle Landratsgehalt, weil er in finanziellen Schwierigkeiten steckte? Das Finanzamt wollte ja auch noch ausstehende Steuern eintreiben. Der Verfasser hat sich darüber Gedanken gemacht: Kleine Lebensmittelgeschäfte kamen damals zunehmend unter Druck und die Immobilien brauchte er für seine Altersversorgung, weshalb er sie nicht so einfach verkaufen konnte. Er steckte wohl in einem Liquiditätsengpass.
1957 wurde er zwangspensioniert.
Jürgen Thee äußerte sich dazu anläßlich der Vereidigung des neuen Landrates Dr.Kühl:
"Der Kreistag sei mit ihm, dem Kreispräsidenten, der Auffassung gewesen, daß der bisherige Landrat sein Amt nicht wieder ausfüllen könne. Schwierigkeiten hätten zur Zwangspensionierung geführt. Diese Notwendigkeit schließe eine Verabschiedung in einer würdigen Form aus, wie wir sie alle in diesem Hause gewünscht hätten". 23)

* Bild 3: Marianne Greggersen

"Ruschi" Greggersen - die 2. Frau an seiner Seite (1909-1998)
Marianne Greggersen war Schleswigerin, den Spitznamen Ruschi erhielt sie in der Kindheit. Sie erlernte bei Hagge den Beruf des Kaufmannes und führte seine Buchhaltung, während ihr Bruder Wilhelm 1948 das Hauptgeschäft im Gallberg 2 leitete. Sie liebte Hannes, hätte ihn gerne geheiratet, aber er wehrte solches Ansinnen ab mit der Erklärung, daß er seiner Frau auf dem Sterbebette versprochen hätte, nie wieder eine andere zu heiraten. Das war für ihn sehr praktisch, konnte er doch so den kriegsbedingten Frauenüberschuss nutzen und zahlreiche Liebschaften pflegen. Nach seinem Schlaganfall zog er mit Frl. Greggersen in die Flensburger Str. 19, wo sie ihn bis zu seinem Tode pflegte. Ihr gemeinsames Haus in Hamburg - Herderstraße wurde verkauft und sie zog in ihr Haus im Lollfuß 98b, wo sie bis 1995 mit zwei Schwestern lebte. 24)

Nachruf und drei Charakterisierungen
Am 10.1.1964 starb Johannes Hagge. In einem Nachruf schrieb die Zeitung u.a.:
"Johannes Hagges Name und Wirken sind eng mit der Nachkriegsgeschichte von Kreis und Stadt Schleswig verbunden. Als Wirtschaftler, Kommunalpolitiker, Abgeordneter und als Landrat des Kreises Schleswig stand Hagge mehr als ein Jahrzehnt im Blickpunkt einer weiten Öffentlichkeit. Hagge ist damals eine der populärsten Persönlichkeiten Schleswigs gewesen. ... Wer gewisse Geschehnisse und Erscheinungen seines Wesens in den letzten Jahren seines aktiven Wirkens verstehen will, wird für manches wohl in der Krankheitsgeschichte die Erklärung und die wahren Ursachen finden. ... Er lebte in einer immerwährenden Spannung zwischen seiner sozialen Herkunft und seinem durch kaufmännische Tätigkeit erworbenen Status. ... Für den Aufbau der Kreisfinanzen in den Jahren seiner Tätigkeit an der Spitze der Kreisverwaltung sagt ihm der Kreis Schleswig in einem Nachruf Dank. ... Hagge hat seinerzeit das ganze Gewicht seiner Persönlichkeit und seinen weitreichenden Einfluß dafür geltend gemacht, daß dieser große Wirtschaftsbetrieb (die Zuckerfabrik) nach Schleswig kam. Unbeschadet der Frage, ob die Entscheidung unter anderen Gesichtspunkten richtig war oder nicht: in dem ZOB-Gebäude hat Hagge so etwas wie ein Denkmal für sich selber in seiner Vaterstadt gesehen, und daß er eigenwillig auch die Kreisberufsschule baute, braucht hier ebenfalls nicht verschwiegen zu werden.
Hagge ist in seinem Leben gern seine eigenen Wege gegangen und hat sich deshalb nicht selten mit Freunden und Gegnern auseinandersetzen müssen. Das kam in Schleswig besonders zum Ausdruck, als seine Parteifreunde ihn vor die Wahl stellten, sich zwischen dem Amt des Landrats und dem des Bundestagsabgeordneten zu entscheiden. Hagge wollte beides sein. Daß er daraufhin nicht wieder aufgestellt wurde, hat er nie verwunden. Nach dem Schlaganfall von 1956 war Hagge nicht zu bewegen, von sich aus auf sein Amt als Landrat zu verzichten. So kam es zu der notwendigen Abwahl. Dann ist es still um ihn geworden. Seine unbestrittene einstige Popularität ist ihm in allen Jahren seines Leidens als warme Sympathie und als tiefes menschliches Mitgefühl erhalten geblieben. Johannes Hagge war ein Selfmademan. Er hat für seine wirtschaftlichen Unternehmungen und für seine politische Arbeit große Energien eingesetzt. Dabei war er sich bewußt - und er konnte seinem Wesen nach nicht anders - daß er sich mit seiner Umgebung auseinandersetzen mußte. Er hat es mit unbändiger Leidenschaft getan und darin alles Glück und alles Leid erlebt, das Männern seiner Art nicht erspart bleiben kann. Freund und Gegner haben allerdings jederzeit gewußt, daß sie es in Johannes Hagge mit keinem geringen zu tun hatten. Es hat Hagge mit Stolz und tiefer Freude erfüllt, daß er, der Arbeitersohn, an führender Stelle seiner Vaterstadt und des Heimatkreises wirken konnte. Es war ihm eine große Genugtuung für seinen Einsatz, daß er Landrat des Kreises wurde. In dem Amt des Landrats und in dem Amt des freigewählten Bundestagsabgeordneten erreichte Hagges Leben nach seinen Vorstellungen den Höhepunkt und die Erfüllung. So ist das Leben Johannes Hagges nicht ohne Glanz und nicht ohne Tragik gewesen. Was er im Dienst der Heimat tat und schuf, wird ihm über sein irdisches Dasein hinaus gedankt." 25)
"Während des Krieges fuhr Hannes Hagge notgedrungen mit dem Fahrrad zwischen Wohnung Geschäft hin und her, und zwar mit einem Damenfahrrad. Er benutzte das Fahrrad mit einer so würdevollen Haltung, als würde es von einem Chauffeur gelenkt. Gleichzeitig grüßte er höflich nach links und rechts durch ein ständiges Lüften seines steifen blauen Huts, mit dem man ihn in der Öffentlichkeit stets sah. Hierfür mag seine frühe Glatze die Ursache gewesen sein. Auf jeden Fall war Hannes Hagge bereits zu jener Zeit eine respektable Erscheinung."
"Seine Stärke war der ungekünstelte Kontakt mit der Bevölkerung in Stadt und Land, die er mit seinem gesunden Menschenverstand stets anzusprechen wußte. Daß er, wenn irgend möglich, plattdeutsch sprach, versteht sich von selbst. Denke ich an jene Jahre zurück, während der ich ihn täglich erlebte, so wäre zu sagen, daß ihn Ämter und Ehren niemals auch nur in irgendeiner Weise hätten hochmütig werden lassen. Er blieb warmherzig, zugänglich und stets dem Volk verbunden und vergaß keineswegs seine politischen Anfänge und seinen beruflichen Werdegang. Sehr viele rümpften seinerzeit die Nase über die Schlichtheit ihres Landrats und Abgeordneten und mokierten sich darüber, daß er in der deutschen Sprache nicht immer ganz sattelfest war. Diese Mitbürger übersahen dabei Tüchtigkeit und Erfolg von Hannes Hagge bei der wirtschaftlichen Ankurbelung im Kreisgebiet."26)
"Mittel für kulturelle Institutionen hielt Hagge allerdings für ziemlich überflüssig. Er war ein Original. Selbstbewußt ging er mit seinem nach hinten geschobenen "Unternehmerhut" durch die Straßen und hieß daher im Volksmund "Hannes mit dem Hot"." 27)

Bilder:
Bild 1: Johannes Hagge: Handbuch des Bundestages 1949-1953
Bild 2: Gallberg 2: vom Verfasser
Bild 3: Marianne Greggersen: Hans Greggersen
Bild 4: Hannes Hagge SN 13.5.1950

Anmerkungen

1) LAS Abt 605 Nr 540
2 ) SN 9.10.1961
3 ) Handbuch des Schleswig-Holsteinischen Landtags 3.Wahlperiode 1954, S.258
4 ) LAS Abt. 460.12
5 ) Theo Christiansen Schleswig 1836-1945, S.64
6 ) Am 13.1.1938 wurde der Betrieb im Bahnhofshotel eingestellt. Stadtarchiv Abt. 10 Nr. 540
7 ) SN 26.1.1929
8 ) Gemeinschaftsarchiv Schleswig, Abt. 12 Nr. 531
9 ) SN 1.8.1931
10 ) LAS Abt 605 Nr 540
11 ) LAS Abt. 460.12
12 ) SN 13.5.1950
13 ) Gemeinschaftsarchiv: Dr.Schartl
14 ) Theo Christiansen Schleswig 1945-1962, S.66
15 ) Clausen, Hermann: Der Aufbau der Demokratie in der Stadt Schleswig nach den zwei Weltkriegen, Flensburg, 1966,S.286
16 ) Personalakte von Johannes Hagge, Landratsamt Schleswig
17 ) SN Januar 1953
18 ) Mündliche Mitteilungen von Hans und Freya Greggersen, Schleswig im März 2006
19 ) Mündliche Mitteilung von Frau Inka Maisel, Tochter von Hinrichsen, Schleswig im Febrauar 2004
20 ) LAS Abt. 355 Nr. 401
21 ) Falk Ritter: Dr. Fritz Michel, 1895-1978, Hauptschriftleiter der ãSchleswiger NachrichtenÒ 1923-1937, 1949-1965, S.121-155
22 ) SN 3.12.1955
23 ) SN 27.8.1957
24 ) Mündliche Mitteilungen von Hans und Freya Greggersen, Schleswig im März 2006
25 ) SN 11.1.1964
26 ) Beiträge zur Schleswiger Stadtgeschichte, 1991: Kahlke, Gerhard: Jugenderinnerungen an Schleswig - 1943 bis 1960 , S.21-22
27 ) Theo Christiansen Schleswig 1945-1962, S.54