Der Aussichtsturm auf dem Erdbeerenberg 1891-1955 in den Berichten der Schleswiger Nachrichten
von Falk Ritter
Veröffentlicht in: Mitteilungen zur Schleswiger Stadtgeschichte 2022

Abb. 1 Der Aussichtsturm in einer Aufnahme aus dem Jahr 1955

Vorgeschichte
Der Erdbeerenberg hat seinen Namen daher, dass dort bis 1800 noch viele Walderdbeeren wuchsen. Der Verfasser findet noch heute vereinzelt wilde Walderdbeeren auf seinem Grundstück unterhalb des Erdbeerenberges. 1812 richtete der Etatsrat Dr. Peter Jochims eine große Baumschule ein, in der er unzählige Zier- und Nutzpflanzen zog, die er im ganzen Herzogtum kostenlos verteilte. Die Bäume der Michaelisallee stammten von hier. Nach seinem Tod im Jahre 1844 verwahrloste das Gelände, bis der Gärtner Jacob Rober es 1853 von der Stadt für 1400 Mark erwarb. 1) Robers Nachfolger war der Landwirt Asmus Siemsen, dem der Verkehrs- und Verschönerungsverein (VVV) Schleswig 1891 ein Stück Land für 1348,45 Mark abkaufte, um darauf einen Aussichtsturm zu errichten. Die Baukosten betrugen 1800 Mark. Die Gelder stammten von der Friedrichsberger Sparkasse, dem Friedrichsberger Bürgerverein, dem VVV-Ausschuß und einer Hypothek über 600 Mark bei der Spar- und Leihkasse, die mit 3 % verzinst wurde. 2) Von 1891 bis 1909 wurden zudem insgesamt 533,71 Mark gespendet. Die Einweihung fand am 2.9.1891 statt, zu der sich etliche Schleswiger Honorationen einfanden, wobei viele Reden gehalten wurden. In den Schleswiger Nachrichten findet sich darüber folgender Text:
"Durch Herrn Kistenmacher wurde ein Fäßchen auf die Höhe geschafft, so konnten die Anwesenden ihre Zustimmung in einem guten Trunk schäumenden Bieres bekräftigen. Auf der Höhe des Thurmes [10 Meter] wehte an weißer Stange mit goldenem Knopfe die schwarz=weiß=rothe Fahne und der blau=rothe Stadtwimpel, letzterer dem baulichen Charakter des Thurmes als eines städtischen "Wartthurmes" entsprechend ... Gelegenheit zur thätigen Mithilfe giebt der am Fuße der Thurmtreppe angebrachte Opferstock mit der Ueberschrift ,Zur Unterhaltung des Thurmes und zur Verschönerung der Anlagen'. Schon gestern ist derselbe fleißig benutzt worden; er nimmt auch die kleinsten Beiträge gern entgegen. Das hat wohl auch der gemeint, welcher einen Pfennig hineinsteckte in Papier gewickelt, mit der Aufschrift: ,Wer den Pfennig nicht ehrt, ist der Aussicht nicht werth'. Aber wir wollen nicht leugnen, daß der Geldkasten auch größere Geldstücke ohne Beschwerden, ja mit besonderer Lust verdaut, mögen sie in Nickel, Silber oder Gold ihm zugeführt werden."

Berichte der Schleswiger Nachrichten über den Aussichtsturm

11.September 1891: "Der Aussichtsthurm auf dem Erdbeerenberg ist jetzt bei dem schönen Wetter der Zielpunkt vieler Spaziergänger am Nachmittag; er bietet auch eine geradezu entzückende Aussicht. Ueber die Höhe im Vergleich zu andern Punkten der Umgebung hört man oft streiten; wir können heute auf Grund eines vorgenommenen Nivellements folgende bestimmte Angabe machen: Die obere Kante der unteren Eingangsthür des Thurms liegt in einem Niveau mit den auf dem Regierungsgebäude thronenden Adlern."

27.April 1892: "Der Verschönerungsausschuß wird in dieser Woche noch den Platz beim Aussichtsthurm mit Tannen, welche die Friedrichsberger Spar= und Leihkasse freundlich zur Verfügung gestellt hat, bepflanzen und die Böschungen mit Rasen belegen, ferner dort Bänke aufstellen lassen."

7.Juli 1899: "Sehr bedauert wurde der Aufbau von Häusern am Erdbeerenberg, deren häßliche Hinterfronten den Blick vom Aussichtsthurm sehr schädigen, was zu vermeiden war, da die Bauerlaubniß an dieser nicht ausgebauten Straße überhaupt zu versagen gewesen wäre, zum Schutz eines Punktes, den Bädeker 1885 als schönsten Aussichtspunkt Norddeutschlands bezeichnet."

1.Oktober 1901: "Zum Schluß sei noch ein Zettel erwähnt, der also lautet: "Bitte an den Aussichtsturm eine Tafel anzubringen, daß das Einschneiden von Namen im Turm ganz exemplarisch bestraft wird. Ein Friedrichsberger Bürger." Wir hoffen, daß das nicht nöthig ist, daß der Unfugstifter, der neulich an der Treppe seinen Namen eingeschnitzt hat, keine Nachahmer findet. Der Turm ist dem Schutze des Publikums vertrauendsvoll übergeben. Dieses Vertrauen wird gewiß nicht getäuscht werden."

1.Juli 1910 Sprechsaal: "Wer hat den Aussichtsturm zu unterhalten? Vielleicht legt sich der Verschönerungsverein da mal hinein."

10.Mai 1915: "Am Aussichtsturm im Friedrichsberg seien die unschönen Tannen durch neue ersetzt worden, anderes sei noch nötig zu tun."

20.Mai 1925: "Der Aussichtsturm auf dem Erdbeerenberg ist mit einer neuen Fahnenstange versehen und der Magistrat gebeten worden, am Zugang einen künstlerisch auszuführenden Wegweiser anzubringen."

19.Mai 1928: "Von der Brüstung des Aussichtsturmes sei eine Aussicht durch Bau eines Hauses nicht mehr gegeben. Der Turm werde regelmäßig durch einen in der Nähe wohnenden Wächter geöffnet und geschlossen."

Radio-Antenne am Aussichtsturm
Die Witwe Erna Dahnke führte 1928 ein Radio-Antennenkabel über ihr Nachbargrundstück an den Aussichtsthurm, was den Unmut der Stadt Schleswig erregte, wodurch ein 14seitiger Aktenvorgang entstand. 3)

18.Mai 1930: "Der Aussichtsturm im Friedrichsberg soll auf seine Sicherheit hin untersucht werden, deshalb soll an die Stadt das Ersuchen gerichtet werden, das durch das Bauamt vornehmen zu lassen. Um den Besuchern des Turmes es zu ermöglichen, sich über das zu orientieren, was die umfassende Aussicht bietet, sollen auf der Brüstung in dauerhafter Form die Richtlinien angebracht werden nach den verschiedenen Punkten sowie deren Namensbezeichnung."

22.Oktober 1930: "Die schöne Aussicht vom Friedrichsberger Aussichtsturm. Das ist der Aussichtsturm im Friedrichsberg. Von seiner Plattform genießt man einen Rundblick, der nur nach Westen beschränkt ist. ... Nur etwas stört den Genuß den der Aussichtsturm dem Besucher bietet: Liebende pflegen gern ihre Namen "in alle Rinden" einzuschneiden, und man lächelt, wenn man im Walde zufällig solche Zeichen sieht, denkt wohl auch der eigenen Jugend. Moderne Kieselacks 4), versäumen nicht, wo an einem Aussichtspunkte irgendwo Platz ist, ihre Adresse der Mit- und Nachwelt anzugeben. Auch der Friedrichsberger Aussichtsturm zeigt hunderte solcher Inschriften; daß aber Narrenhände in boshafter Weise auch die schöne Metallfläche der Richtungstafel bekritzelt haben, ist ein Bubenstreich, der aufs schwerste zu verurteilen ist."

Abb. 2 Panorama 1901

31.Mai 1945: "Erforderlich ist die Instandsetzung des Aussichtsturmes am Erdbeerenberg. Nach Bericht des Stadtbaumeisters sind bereits Kostenanschläge für die Wiederherstellung der Treppe angefordert."

Das Ende des Aussichtsturms 1955:
Der Aussichtsturm verfiel zusehends und wurde 1955 abgebrochen. Heute existiert dort ein 8 mal 13 Meter großes eingezäuntes Eckgrundstück mit einer kleinen Böschungsmauer aus Feldsteinen. Darüber berichteten die Schleswiger Nachrichten am

18.Juni 1955: "Der Aussichtsturm bildete noch bis zum 1. Weltkrieg ein vielbesuchtes Ziel von Fremden und Schleswigern, die von seiner Plattform aus Schleswigs schöne Umgebung und das Schleigebiet beschauten. Fremden zeigte eine Metalltafel an, wo Schloß Gottorf, der Dom, der Königshügel und weitere bemerkenswerte Punkte in der sich vor dem Auge des Beschauers ausdehnenden Landschaft zu finden waren. Das war einmal. Seit einer Reihe von Jahren kann der Turm aus zweierlei Gründen seinen früheren schönen Zweck nicht mehr erfüllen. Er zeigte zunehmende Baufälligkeit, besonders war die Treppe im Innern nicht mehr ohne Gefahr besteigbar, so daß der Turm gesperrt werden mußte. Eine Aussicht aber konnte man schon vor vielen Jahren nicht mehr von dem nicht hohen Turm aus haben, da die mit der Zeit baumreich gewordene Umgebung mit vielen Neubauten den Blick hemmte. Vor Jahren bereits befaßte sich eingehend der VVV in mehreren Besprechungen unter Hinzuziehung von Fachleuten mit der Frage der Restaurierung des Turmes. Man kam aber zu keinem Ergebnis, weil der Turm in seiner heutigen Gestalt Reparaturen nicht mehr lohnt. Soll er als Aussichtsturm wieder dienen, müßte er wesentlich erhöht und vergrößert werden, um überhaupt eine Aussicht gewähren zu können. Die Kosten für eine umfangreiche Restaurierung des einst sehr beliebten Friedrichsberger Aussichtsturmes sind nicht gering. Aus diesem Grunde konnte nichts unternommen werden. ... Heute lassen die modernen Straßenzüge auf dem alten Erdbeerenberg nichts mehr ahnen von der Zweckbestimmung des umfangreichen Platzes vor mehr als 100 Jahren."

Abb. 3 Platz des Aussichtsturms in der Magnussenstrasse in einer Aufnahme des Jahres 2022

Bildernachweis:
Abb 1: Eva Nagel
Abb. 2 und 3: Verfasser

Anmerkungen:
1 Schleswiger Nachrichten (SN), 18.6.1955
2 SN, 25.4.1891
3 Kreis- und Stadtarchiv Schleswig, Abt. 20/243
4 Joseph Michael, meist nur Joseph, auch Josef Kyselak, geb. am 9.3.1789 in Wien und dort am 17.9.1831 verstorben, war Alpinist und Hofkammerbeamter am Kaiserhof. Bekannt wurde er für die merkwürdige Gewohnheit, auf Wanderungen seinen Namen in großen Buchstaben zu hinterlassen. Dadurch gilt er heute als "Urvater" der Graffitikultur, war sozusagen der erste habituelle "Tagger" (https//wikipedia.org/wiki/Biografisches_Lexikon_des Kaiserthums_Oesterreichs, (zuletzt eingesehen am 23.9.2021).

Danksagung:
Der Verfasser dankt Herrn Manfred Hullmann für die gewährte Einsicht in die Akten des Verkehrs- und Verschönerungsvereins.