König Friedrich I. (1471-1533) als Bilderstürmer der männlichen Säulenfigur am Brüggemann-Altar und weitere erkannte und teilweise gelöste Rätsel rund um den Bildschnitzer Hans Brüggemann (Mai 2025)
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1. Anna von Brandenburg und Friedrich I.
Dies ist die Fortsetzung des Aufsatzes "Die Auflösung des
Rätsels um die Säulenfiguren am Bordesholmer Altar, Abram und
Hagar" aus dem Jahre 2019. 1)
Anlässlich des 500jährigen Jubiläums des Brüggemann-Altars
wurden die beiden Figuren von ihren Säulen geholt und in Glaskästen
zur Schau gestellt.
Hier konnte der Autor die Figuren viel genauer betrachten.
Ergebnis: Die Frau hat einen Schwangerschaftsbauch im 8./9. Monat und ihre
Wirbelsäule zeigt ein ausgeprägtes Hohlkreuz.
Weder von Königin von Saba noch von den Sibyllen sind Schwangerschaften
überliefert.
Bild 1: Schwangerschaftsbauch von Hagar
Betrachtet man die männliche Säulenfigur von
oben, so muss man feststellen, dass die Bohrlöcher für die Zackenkrone
nachträglich angebracht worden sind.
Sieben Löcher liegen in der Naht zwischen Helm und Turban, und ein
Loch wurde direkt in die Falten des Turbans gebohrt.
Dies ist ein sogenannter Kunstfehler.
Der so perfekte Brüggemann hätte einen solchen Pfusch nie begangen.
Abram zeigt eine Orantenhaltung (Gebetshaltung); seine Pupillen blicken
nach oben.
Dazu 2 Bibelzitate:
1. Mose 15,3 Abram sprach zu Gott: "Mir hast Du keinen Samen gegeben."
1. Mose 15,5 Gott erwidert: "Siehe gen Himmel und zähle die Sterne;
kannst Du sie zählen? Also soll Dein Same werden."
Bild 2: Kopfoberseite von Abram
Bild 3: Orantenhaltung und Blick nach oben
Die Ähnlichkeit der weiblichen Säulenfigur mit
Anna von Brandenburg auf dem Grabmal in der Bordesholmer Klosterkirche
ist nicht zu übersehen.
Beide Figuren zeigen zwei gleichaltrige Frauen, eine Bordüre am bogenförmigen
Ausschnitt des Kleides, Panzerkette, Medaillon am Band und Puffärmel.
Wir finden diese Merkmale auch bei der Hl. Katharina (4. von links) in
der Predella unterhalb des Goschhof-Retabels im Schleswiger Schlossmuseum.
2)
Am 10. April 1502 wurde die 14 1/2-jährige Anna mit dem 16 Jahre älteren
Herzog Friedrich I. verheiratet, dem sie kurz hintereinander zwei Kinder
gebar.
Sie war danach dauerhaft krank, was man bisher mit den Geburten in Zusammenhang
brachte.
Doch glaubt der Verfasser eine andere Ursache gefunden zu haben.
Bei den 1512 geschilderten Symptomen wie z. B. "sie ist seit ca. 14
Tagen mit einer Krankheit behaftet, welche sich gewöhnlich nach der
Veränderung der Gebärmutter erneuert und beschwerlicher ausfällt
und deren Ursache wir nicht eigentlich wissen." handelte es sich lt.
Dr. Buske in Schleswig wohl um den bösartigen Gebärmutterhalskrebs.
3,4)
Mit den beiden Säulenfiguren wollte sich Anna wohl selbst ein Denkmal
setzen.
Vermutlich identifizierte sie sich mit dem Schicksal der alttestamentarischen
Hagar, die auch von einem älteren Mann (Abram) nur wegen eines dynastischen
Nachfolgers geschwängert wurde und danach in große Schwierigkeiten
geriet.
Die Entstehungszeit der beiden Figuren vermutet der Autor im Zeitraum 1512
- 1514, also zwischen der rapiden Verschlechterung ihres Gesundheitszustandes
und ihrem Tode.
In ihrer Gruft wurden die Überreste eines 6 Monate alten Fötus
gefunden.
Das bedeutet, dass Friedrich I. seine todkranke Frau noch geschwängert
hat. 5)
Der erste Aufstellungsort der Säulenfiguren könnte 1512 auf niedrigen
Podesten in der alten Schlosskapelle gewesen sein. 6)
Näheres s. u. im Kapitel "Das Goschhof-Retabel".
Bild 4: Anna v. Brandenburg in der Bordesholmer Kirche
Bild 5: Hl. Katharina im Goschhof-Retabel im Schloß Gottorf
2. Der Bilderstürmer an der männlichen Säulenfigur
Was die nachträgliche Krönung der männlichen Säulenfigur
angeht, so erheben sich natürlich die Fragen:
"Wer tat das wann und warum?"
Johann Gottlob von Quandt, ein angesehener Kunsthistoriker aus Leipzig
schrieb 1844 über die Säulenfiguren: 7)
"Man geht aber darin gar so weit, daß man einen türkisch
gekleideten Mann, der auf einer zierlichen Säule steht, die unweit
des Altars aufgerichtet ist, für Christian II. ausgiebt;
denn welcher Fürst der damaligen Zeit hätte sich wohl als Türke
oder Jude abbilden lassen?
Auf einer andern gleichen Säule steht eine weibliche Figur, die für
Christians Gemahlin ausgegeben wird.
Es ist mir wahrscheinlich, daß sowohl diese Figur, welche für
Christian II. ausgegeben wird, ... Erzväter [Abraham, Isaak, Jakob]
8) oder Propheten des alten Bundes vorstellten und gleichsam als Vorgänger
und Verkünder des Erlösers vor dem Altare auf abgesonderten Stufen
standen, und ich erinnere mich hier daran, daß der Künstler
die Juden immer im orientalischen Costüm vorstellte.
Es ist also bei dieser Figur durchaus nicht an Christian II. zu denken."
Die älteste Beschreibung stammt vom Flintbeker Pastor
Coronaeus, der im Jahre 1637 berichtete, dass König Christian II.
von Dänemark im Jahre 1523 mit seiner Frau Isabella in Bordesholm
den Altar bewundert hatte und dann von Brüggemann als Säulenfigur
abgebildet wurde.
Dies ist erwiesenermaßen falsch, denn er wurde in diesem Jahr als
König abgesetzt und flüchtete nach Holland.
Aber die Tatsache, dass Coronaeus vom Abbild eines Königs sprach,
lässt den Schluss zu, dass er eine Krone auf der Säulenfigur
gesehen hat.
Da Coronaeus im Jahre 1600 in Bordesholm eingeschult worden war, kann man
folgern, dass die nachträgliche Krönung der Säulenfigur
ungefähr zwischen 1514 und 1599 stattgefunden haben könnte.
Christian II. hatte Bordesholm bereits 1522 besucht, um mit seinem Onkel
Friedrich I. den "Bordesholmer Vergleich" abzuschließen.
Bestimmt hat Friedrich I. seinem Neffen König Christian
II. stolz den gerade fertiggestellten Brüggemann-Altar präsentiert.
Als der Blick von Christian auf die beiden Säulenfiguren fiel, könnte
sich folgender Dialog abgespielt haben:
Christian: "Und wen sollen die beiden Figuren darstellen?"
Friedrich: "Abram und Hagar".
Christian: "Und warum stehen die hier?"
Friedrich: "Meine verstorbene Frau wollte das so."
Christian: "Und was soll das Ganze jetzt bedeuten?"
Friedrich: "Meine Frau wollte sich damit ein Denkmal setzen, sie identifizierte
sich mit dem Schicksal von Hagar. Abram steht sinnbildlich für meine
Person."
Christian: "Hat sie sich das ausgedacht?"
Friedrich: "Ich glaube, dass Bischof Ahlefeldt ihr diesen Vorschlag
gemacht hat."
Daraufhin stellte Christian II. erstaunt die gleiche Frage, wie von Quandt
322 Jahre später:
"Du lässt Dich also als einen Juden oder Türken abbilden
und stellst das in eine christliche Kirche?"
Friedrich I. hatte seine 2. Hochzeit mit Sophia von Pommern ausgerechnet
auf den 9. Oktober 1518 gelegt, den Gedenktag von Abraham, mit dem er sich
wohl auch identifiziert hatte.
Christians Frage muss ihn doch sehr nachdenklich gemacht haben, denn es
waren bewegte Zeiten.
1521 war der große Auftritt von Martin Luther im Reichstag zu Worms.
Im gleichen Jahr zeigte sich der osmanische (türkische) 9) Sultan
Suleyman I. der Prächtige auf dem Höhepunkt seiner Machtentfaltung.
Er wollte Europa erobern und hatte gerade Belgrad, die stärkste christliche
Festung des Balkans in nur drei Wochen erstürmt.
Nach dem Sturz von Christian II. im Jahre 1523 wurde Friedrich I. zum König
von Dänemark gewählt.
Für ihn war das bestimmt der passende Anlass, der männlichen
Säulenfigur nachträglich eine Krone mit Reichsapfel und Kreuz
zu verpassen, um den "Türken" verschwinden zu lassen. 10)
Diese Geschichte hat er wohl für sich behalten, den Bordesholmer Mönchen
war sie sowieso egal, weil sie ihre eigenen Probleme wegen der Reformation
hatten, und so gab dieser gekrönte Abram allen zukünftigen Forschern
ein großes Rätsel auf.
Andere Bilderstürmer kommen eigentlich nicht in Frage.
Seine Nachfolger Christian III., Friedrich II. und Christian IV. hätten
dafür zwar die Macht, aber kein denkbares Motiv gehabt, um Solches
zu tun.
Dazu passt ein Zitat von Hermann Heimpel über die Reformationszeit:
"Die Bilderstürmer waren die Bilderstifter". 11)
3. Der kleine Hund zu Füssen von Anna von Brandenburg
auf dem Grabmal in der Bordesholmer Klosterkirche
Bisher dachte man, dass das ihr geliebter Schoßhund war.
Oder sollte der Hund ihre Treue symbolisieren? 12)
Doch diese Herzogin konnte nicht untreu sein.
Sie stand ungeachtet ihrer Erkrankung unter großem Druck, mit ihrem
Mann für weitere Nachkommen zu sorgen.
Es gibt im Schleswiger Dom eine aufrechtstehende Grabplatte von Bischof
Gottschalk von Ahlefeldt, zu dessen Füssen auch ein kleiner Hund hockt.
13)
Der Hund ist Teil seines Wappens. 14)
In der Heraldik spricht man dabei von einer "Bracke" als Helmzier.
Der Autor vermutet deswegen, dass Anna eine engere Beziehung mit Ahlefeldt
in Form einer platonischen Liebe pflegte.
Ihre frühen Schwangerschaften und die darauffolgende Erkrankung ließen
bei ihr sicher die Erkenntnis reifen, dass ein Leben als Jungfrau viel
schöner gewesen wäre.
Somit war eine gemeinsame Basis mit dem katholischen Bischof von Ahlefeldt
gegeben, der 1509 auch in die Flensburger Brüderschaft "Jungfrau
Rosenkranz" eintrat. 15)
Bild 6: Hund auf Grabmal in Bordesholm
Bild 7: Hund auf Grabplatte von Bischof Ahlefeldt im Schleswiger Dom
4. Das Goschhof-Retabel
Das Goschhof-Retabel beinhaltet eine klassische "Virgo inter virgines"-Szene
(Jungfrau unter Jungfrauen), der die Marienfigur nebst Jesuskind verloren
ging.
Sie wird ergänzt durch eine alttestamentarische Familie (Aaron, Miriam,
Nadab und Abihu), welche das Thema "Jungfräulichkeit" inhaltlich
erweitert. 16,17)
Lt. Bünsche ist das Goschhof-Retabel ein Werk von Brüggemann.
18)
Die Entstehungszeit datiert er auf 1512 - 1517.
Der Verfasser vermutet, dass dieses Retabel zuerst in der "alten"
Schlosskapelle im Ostflügel des Schlosses aufgestellt wurde. 19)
Die Schlosskapelle war zu Ehren des Hl. Georg, der Jungfrau Maria und dem
Salvator geweiht.
Da der Tag des Hl. Georg am 23. April 1508 mit dem Ostersonntag zusammenfiel,
könnte das der Tag der Einweihung der Kapelle gewesen sein.
Ihren Besuchern wurde von Papst Julius II. im Jahre 1512 ein vollkommener
Ablass gewährt, wenn sie dort (ab 1513) für das Herzogspaar an
"Mariä Aufnahme in den Himmel" (15.8.) beteten.
Dieses Angebot galt bis ins Jahr 1518. 20,21)
Auch pilgerten 1512 mehrere Hofgesindefrauen nach Santiago de Compostela,
um für die Herzogin zu beten.
Dort wurden am 25.7.1512 Ablässe gewährt, weil dies ein Heiliges
Jahr war, denn der Tag des Hl. Jacobus fiel auf einen Sonntag. 22)
Am 26.7.1512 war passenderweise der Tag der Hl. Anna, der Mutter der Muttergottes.
Der Verfasser vermutet, dass das Goschhof-Retabel (und die Säulenfiguren)
häufiger zwischen Schleswig, Kiel (das Schloss war ihr Leibgedinge)
und Bordesholm verbracht wurden, je nachdem, wo sich Anna von Brandenburg
gerade aufhielt.
Spätestens nach dem Tod von Ahlefeldt 1541 dürfte es dann nach
Eckernförde in den Goschhof überführt worden sein, von wo
es 1880 nach Kiel ins Thaulow Museum gelangte.
Seit 1948 kann man es ins Landesmuseum im Schloss Gottorf bewundern.
Bild 8: Goschhof-Retabel im Museum des Schloß Gottorf
5. Die Predella unterhalb des Goschhof-Retabels
Sie beinhaltet Figuren der 14 Nothelfer und einer zusätzlichen 4.
Frau am linken Rand.
Hintere Reihe von links nach rechts:
Achatius - Blasius - Dionysius - Christopherus/Jesuskind - Erasmus - Vitus
- Pantaleon
Vordere Reihe von links nach rechts:
Dorothea - Margareta 23) - Barbara - Katharina - Georg - Eustachius - Cyriacus
- Ägidius
Bemerkenswertes:
Hl. Katharina (Nothelferin für Mädchen, Jungfrauen und Frauen)
trägt die Attribute von Anna von Brandenburg.
Dem Hl. Georg, der einen Drachen besiegte, um eine Jungfrau zu befreien,
ist die "alte" Schlosskapelle geweiht.
Er steht rechts neben ihr.
Hl. Dorothea ist zwar keine Nothelferin, aber sie und die drei anderen
Frauen gehören zu den sog. "virgines capitales".
Hl. Eustachius ist die einzige verheiratete Person in der Predella. 24)
Somit ergänzt die Predella das Thema Jungfräulichkeit im Retabel.
6. Die Herzogsfamilie in der Schleswiger Rosenkranzbruderschaft
Von 1481 bis 1528 existierte in Schleswig die sog. Rosenkranzbruderschaft,
in der auch Frauen Mitglieder waren. 25)
Sie war nur in den Städten präsent und hatte in Schleswig ca.
600 Mitglieder. 26,27)
Während ihrer Treffen wurden ausgiebig Rosenkränze zur Jungfrau
Maria gebetet.
Die Zusammenkünfte fanden in Privathäusern und im Dom an einem
eigenen Altar statt. 28)
1509 traten Herzog Friedrich I., seine Frau Anna, ihre beiden Kinder und
Bischof Ahlefeldt dieser Gemeinschaft bei, wobei Ahlefeldt jetzt dort eine
leitende Funktion übernahm.
Da Anna sehr krank geworden war, wird sie wohl kaum an gemeinsamen Gebeten
im Dom teilgenommen haben.
Mit ihrer Mitgliedschaft gewann die Herzogsfamilie aber einen großen
Kreis von Menschen, die für die Gesundung und das Seelenheil ihrer
Herzogin beteten.
7. Stützt sich Jesus bei der Kreuztragung auf
einen Stein oder auf ein Buch?
Diese Szene findet sich sowohl im Brüggemann-Altar als auch im
"Kreuzigungsretabel aus Brügge" im Schleswiger Schlossmuseum.
29)
Brüggemann hat sich diese Szene aus Dürers "Kleine Passion:
Kreuztragung Christi" zum Vorbild genommen. 30)
Wegen seiner blättrigen Struktur könnte man den Stein für
Schiefer halten.
Aber er könnte wegen des Formates auch ein zerfleddertes Buch sein,
denn das Neue Testament wurde ikonographisch gerne als Buch dargestellt.
Es gibt aber noch eine andere mögliche Bedeutung:
Buch und Schriftrolle waren Attribute der prophetischen vorchristlichen
Sibyllen (Sibyllinische Bücher). 31)
So gesehen könnte Jesus in dieser Situation eine verschlüsselte
Prophezeiung von sich geben.
Denn in der geschnitzten Szene dreht Jesus seinen Kopf auffallend zum Betrachter
hin.
Schaut man in die Bibel, so findet man exakt diese Szene unter Lukas 23,
26 ff:
"Als sie Jesus hinausführten, ergriffen sie einen Mann aus Zyrene
namens Simon, der gerade vom Feld kam.
Ihm luden sie das Kreuz auf, damit er es hinter Jesus hertrage.
Es folgte eine große Menschenmenge, darunter auch Frauen, die um
ihn klagten und weinten.
Jesus wandte sich zu ihnen um und sagte:
Ihr Frauen von Jerusalem, weint nicht über mich; weint über euch
und eure Kinder!
Denn es kommen Tage, da wird man sagen:
Wohl den Frauen, die unfruchtbar sind, die nicht geboren und nicht gestillt
haben.
Dann wird man zu den Bergen sagen:
Fallt auf uns, und zu den Hügeln: Deckt uns zu!
Denn wenn das mit dem grünen Holz geschieht, was wird dann erst mit
dem dürren werden?"
Bild 9: Jesus stützt sich auf ein Buch?
8. Brüggemann in der Abram-Melchisedek - Szene
unter einer Brandungswelle
In der Predella-Szene "Abram-Melchisedek" hat sich Brüggemann
im Hintergrund selbst portraitiert.
Er steht zwischen dem Stadttor und einer Soldatenkolonne und wird dabei
von einer Struktur überwölbt, die Appuhn als "Felsenkulisse"
und Knüppel als "Welle" bezeichnet. 32)
Bei genauer Betrachtung scheint es sich hier tatsächlich um eine Brandungswelle
zu handeln, die sich gerade über Brüggemann bricht. 33)
Ein Vergleich mit der Welle von Hokusai bestätigt diesen Verdacht,
siehe Bild.
Der Verfasser glaubt den Widerspruch "Große Welle an Land weitab
vom Meer" auflösen zu können:
Hier handelt es sich wohl um ein "Bild", das aus dem Bibelzitat
von Jona 2,4 geformt wurde:
"Du [Gott] warfest mich in die Tiefe mitten im Meer, daß die
Fluten mich umgaben; alle deine Wogen und Wellen gingen über mich."
Der Verfasser glaubt, dass Brüggemann mit diesem Bild sein eigenes
Seelenleben beschrieb, was man in der Psychologie als "katathymes
Bilderleben" bezeichnet.
Bild 10: Welle über Brueggemann
Bild 11: Welle von Hokusai
9. Die Weihe des Bordesholmer Altars und das Christkind
hinter den Gittern des Reliquienschreins
Der Autor schließt sich der Diagnose von Sternberg an, der hier
von einem Reliquienschrein spricht und ein Tabernakel verneint.
Altartabernakel kamen im Norden erst im 17. Jahrhundert auf und wurden
zur Aufnahme einer Monstranz und geweihten Hostien benutzt.
Ihre Öffnung ist immer auf der Vorderseite, aber dieser Schrein hat
nur ein Türchen auf der Rückseite.
Zur Aufbewahrung von geweihten Hostien dienten damals sog. Sakramentshäuser.
In der Kapelle des St. Johannisklosters Schleswig kann man ein solches
heute noch bewundern.
Außerdem ist die Christkind-Figur wegen ihrer Vergoldung und weißen
Farbe ein Fremdkörper im Brüggemann-Altar. 34)
Der Schrein sollte wohl im Bordesholmer Kloster vorhandene Reliquien (Marienschleier?
St. Vicelin?) aufnehmen, was bei der Einweihung des Altares bestimmt geschah,
aber im Zuge der Reformation bald rückgängig gemacht wurde. 35)
Das Christkind diente sodann als dekorativer Lückenbüßer.
Als Datum der Altarweihe vermutet der Verfasser den 25.9.1521, an dem in
Bordesholm das jährliche Reliquienfest 36) und der Tag der Hl. Katharina
begangen wurde.
Frühere Termine verbaten sich, weil am 29.6.1521 Friedrichs Sohn Johann
in Hadersleben entbunden wurde.
Spätere Termine wie der Tag des Hl. Vicelin am 12.12.1521 kamen wegen
der Beschwerlichkeiten winterlicher Reisen kaum in Frage.
Bild 12: Christkind aus dem Schrein
10. Pontius Pilatus und der Löwe von Juda
In der Predella-Szene "Pilatus wäscht seine Hände"
ruht zu seinen Füssen ein kleiner Löwe.
Dies ist eine Anspielung auf das Bibelzitat 1. Mose 49,9:
Jakob spricht über seinen Sohn Juda: "Juda ist ein junger Löwe;
er ist niedergekniet und hat sich gelagert wie ein Löwe, wer will
sich wider ihn auflehnen?"
Mit Juda ist in dieser Szene wohl das "Reich Juda" gemeint.
Pilatus trägt einen Turban, was Römer aber nie taten.
Brüggemann hatte sich damit aber nur ein Bild von Dürer zum Vorbild
genommen. 37)
Bild 13: Pilatus und der Loewe von Juda
11. Warum wurde der Brüggemann-Altar geschaffen?
Georg Habenicht bezeichnet ihn als eine Investitionsruine, weil ihm
die Fassung (Bemalung) fehlt, was wohl der Reformation geschuldet war.
38)
Sein Baubeginn datiert im Jahre 1514, also dem Todesjahr von Anna von Brandenburg.
Das Hauptmotiv zur Herstellung aufwändiger Altar-Retabels war damals
die Erlangung des Seelenheils 39), in diesem Falle primär für
Anna und sekundär für Herzog Friedrich I.
Seine Gebeine sind im Schleswiger Dom bestattet, Annas sterbliche Überreste
in Bordesholm.
Durch den Umzug des Altars und der Säulenfiguren fanden sie im Schleswiger
Dom wieder zueinander, er als Figur auf dem Grabmal und sie auf der Säule
im Dom.
14: König Friedrich I. im Dom
12. Bildernachweis
Abb. 1: Schwangerschaftsbauch: Verfasser
Abb. 2: Kopfoberseite von Abram: Verfasser
Abb. 3: Orantenhaltung: Carl Julius Milde
Abb. 4: Anna von Brandenburg: Verfasser
Abb. 5: Hl. Katharina: Verfasser
Abb. 6: Hund bei Anna von Brandenburg: Verfasser
Abb. 7: Hund bei Ahlefeldt: Verfasser
Abb. 8: Goschhof-Retabel: Verfasser
Abb. 9: Jesus stützt sich auf Buch: Postkarte im Dom
Abb.10: Welle über Brüggemann: Postkarte im Dom
Abb.11: Welle von Hokusai: WIKIPEDIA
Abb.12: Christkind: https://www.shz.de/lokales/schleswig/artikel/domkuester-tim-schroeder-zieht-dem-christkind-ein-frisches-hemdchen-an-41795545
Abb.13: Pilatus und der Löwe: Postkarte im Dom
Abb.14: König Friedrich I.: Verfasser
13. Anmerkungen
1) Ritter, Falk: Die Auflösung des Rätsels um die Säulenfiguren am Bordesholmer Altar: Abram und Hagar. Beiträge der Gesellschaft für Schleswiger Stadtgeschichte 64 (2019) S. 49-55 [Aktualisierte Fassung: https://rudiritter.de/Saeulenfiguren-internet/Saeulenfiguren.html]. Der Autor benutzt in diesem Aufsatz den Namen Brüggemann-Altar statt Bordesholmer Altar, um den Leser nicht zu verwirren. Es hat sich auch eingebürgert, dass der Begriff "Goschhof-Retabel" auch die Predella mit einbezieht.
2) Die Panzerkette scheint ein Signet von Brüggemann zu sein. Die Säulenfigur von Abram und Hagar, Brüggemann in der Abram/Melchisedek-Szene und die Hl. Katharina in der Predella des Goschhof-Retabels tragen diese Kette.
3) Dank für diesen Hinweis am 24.9.2023 an Dr. Henning Buske, Facharzt für Frauenheilkunde und Geburtshilfe in Schleswig.
4) Gerhard Fouquet und Anja Voßhall: Fräulein und Gnädige Frau - Anna von Brandenburg (1487-1514). In: Kultur- und Verschönerungsverein Bordesholmer Land e. V. (Hrsg.): Herzogin Anna von Brandenburg (1487-1514), Bordesholm 2014, S. 12-14.
5) Zum Zeitpunkt ihres Todes war sie wieder schwanger, und zwar im 6. Monat. Schröder, Inge: Anthropologische Untersuchungen an Skelettresten aus der Gruft der Herzogin Anna von Brandenburg in Bordesholm. In: Kultur- und Verschönerungsverein Bordesholmer Land e. V. (Hrsg.): Herzogin Anna von Brandenburg (1487-1514), Bordesholm 2014, S.27.
6) Pause, Jochen: Zur Ausstattungsgeschichte der Gottorfer Schlosskapelle. Beiträge zur Schleswiger Stadtgeschichte 1979, S. 84. Andresen, Ludwig: Anna, Herzogin zu Schleswig-Holstein. Heimat 40, 1930, S. 132f. Andresen irrte, als er schrieb: "Für ihre Kapelle zu Gottorf, die der Jungfrau Maria und St. Jürgen geweiht war, sorgte sie besonders und eigenhändig." Er verwechselte die Kapelle "zu Gottorf" mit der Kapelle "St. Jürgen und St. Jobs vor Gottorf". Quelle: Deert Lafrenz, Veronika Darius, Dietrich Ellger, Christian Radtke: Die Kunstdenkmäler des Landes Schleswig-Holstein, Stadt Schleswig, Kirchen, Klöster Hospitäler. 1985 S. 308. Quandt, J.G: Nippes von einer Reise nach Schweden. Leipzig 1844, S. 270.
7) Quandt, J.G: Nippes von einer Reise nach Schweden. Leipzig 1844, S. 270.
8) Siehe Wikipedia "Erzeltern"
9) Türken waren eine Ethnie innerhalb des osmanischen Reiches. https://de.wikipedia.org/wiki/T%C3%BCrken
10) Am 26.3.1523 wurde Friedrich zum König gewählt. Ab diesem Datum könnte die Abram-Figur gekrönt worden sein.
11) Heimpel, Hermann, Das Wesen des Deutschen Spätmittelalters. In: Ders., Der Mensch in seiner Gegenwart. Sieben historische Essays. Göttingen 1954, S. 134.
12) Ströbl, Andreas: Das herzogliche Grabmal in Bordesholm - ein Sepulkralmonument zwischen Mittelalter und Neuzeit. In: Herzogin Anna von Brandenburg. Bordesholm 2014. S. 34. In: Kultur- und Verschönerungsverein Bordesholmer Land e. V. (Hrsg.): Herzogin Anna von Brandenburg (1487-1514), Bordesholm 2014.
13) Reinald Schröder vermutet in der Predella-Szene "Passahmahl" eine verschwundene Hundefigur. Beiträge zur Schleswiger Stadtgeschichte 2009, S. 38. Siehe auch: Ingeborg Kähler: Der Bordesholmer Altar. Neumünster 1981, S. 72
14) Der Hund als Ahlefeldtsches Wappentier erscheint auch auf den Flügeln des Goschhof-Retabels.
15) Willers, Jessen: Der Goschhof in Eckernförde, Zeitschrift der Gesellschaft für Schleswig-Holsteinische Geschichte 1910, S. 358.
16) Ritter, Falk: Die Entzifferung der Figuren im Goschhof-Retabel, in: Jahrbuch der Heimatgemeinschaft Eckernförde 77 (2019) S. 49-55 [aktalisierte Fassung: https://rudiritter.de/GoschhofOrdner/goschhof.html].
17) Diese anspruchsvolle Konstellation traut der Autor nur dem hochgebildeten und weitgereisten Gottschalk von Ahlefeldt als ihren spiritus rector zu. Auf dem Akazienbaum sitzt ein Putto. Aaron war der Bruder von Miriam, Nadab und Abihu zwei seiner Söhne. Unten sitzen von links nach rechts Hl. Agnes, Maria mit Kind (sind verloren gegangen) und Hl. Lioba. Die Farben wurden erst 1656 aufgetragen. Lioba war eine Benediktinerin und müsste eigentlich ein schwarzes Habit tragen.
18) Bünsche, Bernd: Das Goschhof-Retabel in Schleswig. Ein Werk des Hans Brüggemann. Bau und Kunst 8, Kiel 2005.
19) Siehe Pause a. a. O.
20) Pontoppidan, Erich: Annales Ecclesiae Danicae Diplomatici. 1744, Teil 2, S. 738f. Der Ablass war datiert auf den 29.9.1512.
21) Dank an Georg Habenicht für diesen Kommentar. "Das ist ein schöner Plenarablass, der allen Frauen und Männern, welche die Gottorfer Kapelle an Assumptio Marie (von der Vesper des Vortags bis zur Vesper selbigen Tags) aufsuchen, vollkommenen Erlass und Gnade ihrer Schuld/Strafen gewährt. Der Ablass ist von 1512 bis 1518 auf sechs Jahre befristet. Die Höhe der Taxe wird in der Urkunde nicht geregelt. Entweder war das einer Konkretisierung vorbehalten (s. Naumburger Ablass, mein Buch: Naumburger Bilderstreich), oder aber die Ausgestaltung des Verfahrens war dem Herrscher überlassen." Habenicht ist Autor des Buches: Ablass, Wertpapier der Gnade. Michael-Imhoff Verlag 2020.
22) 1512 machten sogar mehrere Damen des Hofes eine Fernwallfahrt für die Herzogin nach Santiago de Compostela. Andresen, Ludwig: Anna, Herzogin zu Schleswig-Holstein. Heimat 40, 1930, S. 132f.
23) Bei Bünsche auf S.230 wurde Margareta versehentlich - siehe Text, S. 231 - als Magdalena bezeichnet.
24) Die Ausnahme bestätigt hier die Regel.
25) Poulsen, Björn: Die Rosenkranzbruderschaft in Schleswig als Ausdruck spätmittelalterlicher Religiosität, S. 59-95 in: Jacubowski-Tiessen, Manfred (Hrsg.): Geistliche Lebenswelten. Zur Sozial- und Mentalitätsgeschichte der Geistlichen in Spätmittelalter und früher Neuzeit (Studien zur Wirtschafts- und Sozialgeschichte Schleswig-Holsteins 37), Neumünster 2005.
26) In Schleswig lebten zu dieser Zeit ca. 1500 bis 2000 Menschen. Rathjen, Jörg: Schleswig im Spätmittelalter 1250-1544. Husum 2005, S. 76.
27) Zum Vergleich: 1508 gab es in Bordesholm 28 Chorherren, welche nur in ihren eigenen Reihen die Windesheimer Reform (devotio moderna) umsetzten. Bünz, Enno: Das Augustiner Chorherrenstift in Bordesholm und die Windesheimer Reform. In: Oliver Auge, Constanze Köster, Uta Kuhl, Thorsten Sadowsky (Hrsg.): Der Bordesholmer Altar des Hans Brüggemann. Petersburg 2023, S. 28.
28) Ellger, Dietrich: Der Dom. 1966, S. 302f: Altar B 8: 1481 Stiftung der Rosenkranz-Brüderschaft. Altar B17.
29) Hierbei handelt es sich um das Dorf Brügge bei Bordesholm. Es gibt keinen Zusammenhang mit dem Namen "Brüggemann" oder der Stadt Brügge in Belgien.
30) http://www.zeno.org/Kunstwerke/B/D%C3%BCrer,+Albrecht%3A+Folge+der+%C2%BBKleinen+Passion%C2%AB+%5B22%5D.
31) Miriam im Goschhof-Retabel stützt sich auch auf ein Buch. Sie zählt zu den vier Prophetinnen im Alten Testament. 2. Mos. 15,20: "Und Mirjam, die Prophetin, Aarons Schwester "
32) Evers, Luca: Die Predella des Bordesholmer Retabels und die zeitgenössische Sakramentenlehre. In: Oliver Auge, Constanze Köster, Uta Kuhl, Thorsten Sadowsky (Hrsg.): Der Bordesholmer Altar des Hans Brüggemann. Petersburg 2023, S. 112.
33) Frieder Knüppel erkennt darin auch eine sich brechende Welle: Die Säulenfiguren des Brüggemann-Altars. Eigenverlag Kiel 2019.
34) Sternberg, Thomas: Das Christkind von Bordesholm. In: Oliver Auge, Constanze Köster, Uta Kuhl, Thorsten Sadowsky (Hrsg.): Der Bordesholmer Altar des Hans Brüggemann. Petersburg 2023, S. 141ff.
35) http://www.geschichtsverein-bordesholm.de/Veroeffentlichungen/Jahrbuecher/J06_2_Steffen_Vicelin.pdf
36) Auge, Oliver und Hillebrandt, Katja: Klosterbuch Schleswig-Holstein und Hamburg. Regensburg 2019, Band 1, S. 200, 234.
37) Albrecht Dürers "Christus vor Pilatus". Die Arbeit von Dürer wird hier nicht diskutiert.
38) Habenicht, Georg: 1521 Europas erster Wertpapierkollaps. Petersberg 2022, S. 86.
39) Schleif, Corine: Donatio et Memoria. Stifter, Stiftungen und Motivationen an Beispielen aus der Lorenzkirche in Nürnberg. München 1990, S.234.