Gebissaufkäufer in Schleswig 1892-1923

Um die Platinstifte an solchen Zähnen geht es in dem Text nach dem Bild.

Teil der Veröffentlichung: Lohse,U.; Ritter,F.: Kaufe Gebisse, pro Zahn eine Mark. Zahnärztliche Mitteilungen. 1.4.1999, S. 102 - 108
SN = Schleswiger Nachrichten

Im ersten Viertel dieses Jahrhunderts konnte man viele Kleinanzeigen der folgenden Art in den Tageszeitungen finden:

"Ganze oder Theile künstlicher Gebisse kauft Frau Martha Horn durchreisend Dienstag d. 6. Jan. in Schleswig Hotel Stadt Kiel, Eingang von der Seite, Lollfuß 1. Etage, Zimmer Nr. 3." SN 6.1.1903

Wie kam es zu solchen Angeboten?

Die ersten Porzellanzähne

Dazu muß man in der Geschichte der Zahnheilkunde um weitere 100 Jahre zurückgehen. 1808 veröffentlichte Giuseppangelo Fonzi, ein neapolitanischer Zahnarzt in Paris, eine Methode zur Herstellung von Porzellanzähnen mit palatinal eingebrannten Platinhaken. Mit Hilfe dieser Haken (crampons) konnten die Zähne zum Beispiel an einer Goldbasis angelötet werden. Diese Zähne trugen auch den Namen "Bohnenzähne", weil sie wie eine aufgeschnittene Bohne aussahen. Maximilian Moresco war 1823 der Erste in Schleswig-Holstein, der diesen Zahntyp anbot:

"Moresco, Königl. Dänisch concessionirter Zahnarzt aus Kiel, empfiehlt sich dem geehrten Publikum in allen möglichen Zahnärztlichen Operationen; hauptsächlich mit Einsetzen künstlicher Zähne, welche nach der neuesten Methode durch Platine befestigt werden, so wie mit den neu erfundenen dents metalique. Logirt bey dem Herrn Chirurgus Hilbrecht." Schleswiger Intelligenzblatt 19.11.1823

Nach der Erfindung der Kautschukprothese Anfang der 1850er Jahre wurden die Zähne mit Stiften an der Palatinalfläche der Zähne versehen, wie dies bis vor einigen Jahren bei Langstiftzähnen noch der Fall war. 1869 offerierte C.A.Lorenz aus Leipzig: C.Ash- oder S.S.White-Zähne 13 Rthl, 10 Schillinge per 100 Stück (ca. 2 DM per Stück *) C.Ash-Vollzähne mit Platinröhre 26 Rthl. 20 Schillinge per 100 Stück. (ca. 4 DM per Stück *)

Am 5.2.1865 SN inserierte der Schleswiger Zahnarzt Friedrich Neupert :

"F.Neupert, Zahnarzt in Schleswig, Langestrasse No 26, empfiehlt: Künstliche Zähne mit Adhäsion (Saug- oder Luftdruckplatten), bei denen alle früheren Befestigungen, welche häufig schmerzhafte Entzündungen und die Zerstörung der gesunden Zähne herbeiführten, durchaus wegfallen. Höchst bequem, dauerhaft und praktisch zum Zerkäuen aller Speisen. -a Zahn nach Maasnahme der mehr oder weniger obwaltenden Schwierigkeiten ´prima Qualität´ circa 5 (Mark) Crt."

Rechnet man diese 5 Courantmark auf die heutige Währung um, so kommt man ca. 46,20 DM *). Dies war natürlich nicht der Preis des einzelnen Zahnes, sondern der eines Zahnersatzes.

*) Die Umrechnung erfolgte auf der Basis von Hühnereierpreisen

Die Anzeigenphase

Das erste öffentliche Angebot zum Aufkauf gebrauchter künstlicher Zähne in Schleswig lautete am 27.7.1892 SN so:

"Kaufe Gebisse Barned. Nur zu treff. Dienst. u. Mittwoch 9-10 u. 2-4. Hotel Thorhalle. Anerb. auch schriftl."

(Auch alle folgenden Beispiele stammen aus Schleswig) So konnten neben vielen Chiffre-Anzeigen 26 verschiedene Gebissaufkäufer namentlich festgestellt werden. Zum Teil handelte es sich wohl um Frauen von Goldschmieden oder Dentisten (?), die die Anzeigen aufgaben und in Hotels die privaten Verkäufer empfingen. Es war wohl nicht jedermanns Sache, in einem Hotel das eigene Gebiss oder das des Opas zu verkaufen, wurde doch in manchen Anzeigen auf "Ungenierter Eingang von der Seite" hingewiesen. Die Scham war doppelt: Zum einen hatte man keine eigenen Zähne mehr, zum anderen war man finanziell so in der Klemme, daß man es nötig hatte, die künstlichen zu verkaufen. Zur großen Blüte kamen diese Anzeigen in den Jahren 1915 bis 1923.

Wirtschaftliche Gründe

Welche wirtschaftlichen Interessen standen nun hinter dem Aufkauf gebrauchter Zahnprothesen? In der Zeit des Ersten Weltkrieges hatte insbesondere das kaiserliche Heeresministerium ein starkes Interesse am Platin. Da sich Platin kaum für Schmuckzwecke eignet, gab es im Gegensatz zum Gold keine nennenswerten in privater Hand befindlichen Reserven, welche man aufkaufen oder requirieren konnte. Andererseits herrschte ein starkes militärisches und industrielles Interesse am Platin, welches man u.a. in der Schwefel- und Salpetersäurefabrikation (Sprengstoff- und Düngelmittelindustrie) und bei der Herstellung galvanischer Elemente benötigte. Die Platineinfuhr war jedoch unmöglich, da der Kriegsgegner Rußland 95% des Platins in der Welt produzierte. Eigene Platinvorkommen, welche eine industrielle Verwertung erlauben, besitzt Deutschland nicht.

1916 wurden Goldaufkaufstellen gegründet, die mit ehrenamtlichen Sachverständigen besetzt waren. In diesen Goldaufkaufstellen - in Schleswig z.B. Mönchenbrückstraße 10 - wurden aber keine Zähne angenommen, dies besorgten die reisenden Gebissaufkäufer. Jetzt konnte man den Anzeigen auch Preise entnehmen. Beispielsweise bot ein Aufkäufer im Oktober 1915 für einen Zahn 1 Mk. In einem Katalog für Zahnarztbedarf wurden im November 1915 Langstiftzähne zu 1,10 Mk angeboten. Der Wertverlust der Zähne betrug also nur 9 %. Die Preise stiegen aber inflations- und nachfragebedingt schnell an: Der Goldschmied W.Langneß aus Itzehoe bezahlte am 20.7.1916 für einzelne Platinzähne 15 Mk, für ganze Gebisse 120 Mk.

Nachfolgend eine Tabelle der Preisentwicklung für einzelne Platinzähne (gefundene Höchstpreise für das jeweilige Jahr)

Jahr  Preis Mk / Zahn

1912  1
1913  2
1914  -
1915  1,25
1916  15
1917  1,50
1918  1,50
1919   9
1920  25
1921  80
1922  200
1923  4.000.000 (September 1923)

Der drastische Preisrückgang 1917 war auf die Verstaatlichung dieses Marktes zurückzuführen, wie in den Schleswiger Nachrichten am 4.10.1916 zu lesen war:

"Bin vom Kriegsministerium als Aufkäufer für die Heeresverwaltung zugelassen ... Langneß Gebißaufkäufer."

Nach dem Krieg stieg der Preis für einzelne Zähne wieder inflations- und nachfragebedingt bis in astronomische Höhen. 1923 wurden in Schleswig sogar zwei feste private Edelmetall-Aufkaufstellen gegründet, die "Hamburger Edelmetallbörse" und die "Edelmetall-Zentrale". Neben Goldschmuck und Zähnen wurden auch sogenannte "Brennstifte" aufgekauft. Hierbei handelte es sich um kleine Platinkegel, die, mit einer Benzinflamme erhitzt, zur damals populären Holzbrand-Malerei dienten. Mit der Währungsreform 1924 war die Phase der "Kaufe Zähne"-Anzeigen beendet.

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