Der Schleswiger Landrat "Hannes"
Hagge 1893-1964
von Falk Ritter, 1. Juli 2007
* Bild 1: Johannes Hagge 1949
1893-1945
Johannes Hagge ist allen älteren Schleswigern ein Begriff. Im
Volksmund hieß er "Hannes mit de groote Hot" oder auch
Hannes mit de Näs". Er hatte beides.
Die Hagges kamen aus Ellingstedt, wo der Großvater Jürgen als
Häuerling (Gutstagelöhner) sein Brot verdiente. Johannes Hagge
wurde am 4. Mai 1893 in Schleswig als Sohn des Lohgerbers Claus Hagge und
seiner Frau Christina Dircks geboren. Claus Hagge war bei der Lederfabrik
Knecht & Wördemann beschäftigt, seine Frau "plagte sich
für andere Leute". 1) Johannes hatte noch sechs Geschwister,
wovon insbesondere der Friedrichsberger Kohlenhändler Willy Hagge
zu erwähnen ist. 2) Johannes besuchte die Volksschule und verdiente
sich schon als 7jähriger Geld als Zeitungs-, Bäcker-, Kegel-
und Kesseljunge, worauf er später immer wieder stolz hinwies. Den
Beruf des Kaufmannes erlernte er in der Bahnspedition und in Lebensmittelagenturen.
3)
1912 kam er zum Militär. 1915 wurde er Sergeant bei der Betriebs Abt.
der Eisenbahn Truppen und 1919 in Berlin aus dem Militär entlassen.
Wegen 15 % Erwerbsunfähigkeit erhielt er eine monatliche Rente von
38,40 Mk. 4) Am 9.7.1919 bedankten sich Johannes Hagge und Frau Dora geb.
Spetzke für die vielen Aufmerksamkeiten anläßlich ihrer
Hochzeit.
Die erste Geschäftsanzeige erschien am 29.11.1919 :
"Kaufen Heu und Stroh, Steckrüben, Runkelrüben, rote Möhren
und sämtliche Landesprodukte zu höchsten Preisen. Hagge &
Dierksen GmbH, Schubystr. 23b, Fernsprecher 473, vom 1. Januar ab: Kornmarkt
5"
Anläßlich des Kapp-Putsches 1920 stellte Hagge dem Aktionsausschuß
(DDP, SPD, USPD) einen LKW zum Transport von Waffen zur Verfügung.
5) 1921 verkauften Hagge und Dierksen am Gallberg 2 Weizen, Gerste, Hafer,
Rotklee, Weißklee, Schwedenklee, Knaulgras, englisches Raygras, Wurzel
und Rübensaat, Mais und Ackerbohnen.
1922 wurde Tochter Käthe später verh. Pose geboren, 1924 Sohn
Jürgen und 1927 Sohn Claus.
1922 starb seine Mutter. Seinem Vater, der 1925 starb, hatte er 1919 ein
Zigarrengeschäft in der Michaelisstr. 22 eingerichtet.
Seit 1923 wurde der Compagnon Diercksen in den Geschäftsanzeigen nicht
mehr erwähnt. Wegen der Inflation ging Hagge zum Tauschhandel über:
Tausche Korn gegen Lebensmittel, Johannes Hagge
SN 25.4.1925: "Das Bahnhofshotel eröffne ich am Sonntag nach
vollständiger Renovierung. Neu eingerichtete Hotelzimmer empfehle
ich: Gute Speisen und Getränke zu soliden Preisen sichere ich zu.
Meine Stallungen stehen für Ausspann zur Verfügung. Mein Unternehmen
bitte ich gütigst zu unterstützen. Schleswig, den 25. April 1925,
Johannes Hagge, Friedrichstraße 57, Fernsprecher Nr.6" 6)
1926 erfügte er über drei Verkaufsstellen am Gallberg 2, Lollfuß
71 und in der Hühnerhäuser-Mühle.
1927 zog der Klempner Poggensee im Gallberg 2 / Kleiner Baumhofsgang
ein. Dort entstand 1929 ein "Großfeuer auf dem Gallberg:
"Ein Schuppen mit Futtervorräten, Kraftfahrzeuge usw. niedergebrannt,
Ein Pferd in den Flammen umgekommen, Eine Werkstelle von Klempnermeister
Poggensee gleichfalls durch Feuer zerstört. Heute nacht gegen 2 Uhr
ertönte in den Straßen unserer Stadt wiederum das Feuerhorn
und schreckte die Einwohner aus dem Schlaf. Gegen 1 1/4 Uhr war in dem
großen Schuppen von Johannes Hagge am Gallberg ein Feuer zum Ausbruch
gekommen, das in dem Fachwerkbau mit rasender Schnelligkeit um sich griff
und innerhalb kurzer Zeit den Schuppen sowie die angrenzende Werkstelle
von Klempnermeister Poggensee in ein einziges Flammenmeer verwandelte.
Nachbarn waren schnell zur Stelle,um die erste Hilfe zu leisten. Auch die
freiwillige Feuerwehr ließ nicht lange auf sich warten. Aus zahlreichen
Rohren wurden ungeheure Wassermassen in das Flammenmeer geschleudert. Doch
war von den Gebäuden nichts mehr zu retten. Sie brannten bis auf die
Grundmauern nieder. Schaurig tönte durch die Nacht das Geschrei eines
Pferdes, das im Schuppen eingeschlossen war und nicht ins Freie gebracht
werden konnte. Es ist in den Flammen umgekommen. Weiter fielen dem Feuer
zum Opfer ein Personenkraftwagen, ein Motorrad, ein Geschäftsrad,
ein Rollwagen, 100 Zentner Häcksel, 50 Zentner Stroh, 10 Zentner Heu,
einige Ladeneinrichtungen, sowie sonstiger Lagervorrat. Die Arbeiter der
Firma Hagge, die ebenso wie der Geschäftsinhaber sofort zum Gallberg
geeilt waren, konnten einen Trekker sowie ein Geschäftsdreirad aus
dem brennendem Schuppen herausziehen. Als ein Glück ist es zu bezeichnen,
daß 100 Zentner Stroh, die auf der Bahn für die Firma Hagge
lagerten, noch nicht in den Schuppen geschafft waren. Wäre dies der
Fall gewesen, so hätte auch größte Gefahr für das
Hauptgebäude bestanden. Durch dieses Feuer sind nun sämtliche
drei Nebengebäude des Geweses Gallberg 2 innerhalb eines Jahres durch
Feuer vernichtet worden. Der Betrieb der Firma Hagge erleidet durch dieses
Brandunglück jedoch keine Unterbrechung, er wird in unveränderter
Weise fortgesetzt. Herr Hagge erleidet einen großen Schaden, da Gebäude
und Inhalt nur niedrig versichert waren. Die Entstehungsursache des Feuers
ist bisher noch nicht bekannt. Man nimmt allerdings an, daß Brandstiftung,
wie auch bei den anderen Brandfällen auf dem Gallberg, vorliegt. Eine
noch in der Nacht vorgenommene Verhaftung konnte nicht aufrecht erhalten
werden. Nach einer Stunde mußte der Festgenommene, der sein Alibi
einwandfrei nachweisen konnte, wieder freigelassen werden. Die Brandstätte
bietet ein trostloses Bild. Mauerreste, verbrannte Balken, Dachziegel,
Wagenreste usw. liegen kunterbunt durcheinander. Der Kleine Baumhofsgang
ist eine einzige Eisbahn. Auch die Langestraße ist an dieser Stelle
kaum zu passieren. Heute morgen 9 Uhr war die Feuerwehr noch immer mit
Lösch- und Aufräumungsarbeiten beschäftigt. Es ist dringend
zu hoffen und zu wünschen, daß dieser, wie auch die anderen
Brandfälle restlos aufgeklärt werden, damit endlich ein Beruhigung
für die Anwohner des Gallbergs eintritt." 7)
1927 pachtete Hagge das Louisenbad für 1500 Mk. jährlich.
Wegen wirtschaftlicher Schwierigkeiten wollte er den Vertrag 1931 vorzeitig
lösen, worauf die Stadt Schleswig sich aber nicht einließ. 8)
Er bezeichnete seine Geschäfte als "Landesproduktenhandel",
den er 1929 um eine eigene Kaffeee-Rösterei und um Kolonialwaren erweiterte.
1931 meldete er sich auf der Generalversammlung des Vereins für Handel
und Industrie öffentlich zu Wort. 9)
Bis zum Ende des Krieges sind von ihm nur noch Geschäftsanzeigen gefunden
wurden. 1937 reiste er als Tagestourist nach Dänemark.
1939 stellte er einen Antrag auf Ausstellung eines Staatsbürgerausweises,
um in Hamburg Grundstücke zu erwerben. Lt. Aussage seine Enkels Hannes
kaufte er sich auf der Reeperbahn und in der ABC-Straße ein. Nach
der Bombardierung von Hamburg wird davon nicht mehr viel übrig gewesen
sein. 10)
1940 starb seine Ehefrau.
Hagges Einkommen betrug laut Entnazifizierungsakte, wo er zum "Nichtbetroffenen"
erklärt wurde:
1933: -2157 RM Verlust
1934: 3.000 RM
1935: 4.657 RM
1936: 8.903 RM
1937: 7.813 RM
1938: 15.679 RM
1939: 19.673 RM
1940: 34.670 RM
1941: 17.507 RM
1942: 31.800 RM
1943: 34.600 RM
1944: 16.814 RM 11)
Zum Vergleich: Der Schleswiger Bürgermeister bezog ein jährliches
Gehalt von 7.800 RM.
Nach dem Kriege machte Hagge eine steile politische Karriere, die dadurch gefördert wurde, daß er zum Einen politisch völlig unbelastet war und zum Anderen großen wirtschaftlichen Sachverstand besaß. Ein typischer Wahlspruch von ihm war: "Dat Toflußrohr mut immer wat gröter sien als als dat Abflußrohr." 12)
* Bild 2: Hagges Haupthaus, der Gallberg 2
Hagges Ämter:
1945 Ernennung zum Stadtrat (CDU)
1946 Ernennung zum Landrat
1946 Kreistagsabgeordneter
1946 - 1957 im Vorstand der Schleswig-Holsteinischen Landesbrandkasse
1947 -1949 Landtagsabgeordneter der CDU stellvertretender Bürgermeister
von Schleswig
1948 Stadtrat im städtischen Ausschuß für Stadtwerke und
Grundstücke Vorsitzender des Kreisausschusses und der Fahrbereitschaft
1949 -1953 CDU-Bundestagabgeordneter des Wahlkreises 3
1950 -1957 Wahl zum Landrat Mitglied im Polizeiausschuß des Kreistages
1950-1957 Beirat in der Schleswig-Holsteinischen Stromversorgungs-AG
1952 Mitglied des Verwaltungsrates der Landesbank und Girozentrale
1953 Er tritt aus der CDU aus und in die FDP ein
1954 -1957 Landtagsabgeordneter für die FDP Einige dieser Ämter
trug er gleichzeitig, wie zum Beispiel Landrat und Bundestagsabgeordneter.
Und neben all diesen Ämtern war er noch ein freier Unternehmer, was
nicht ohne Konflikte blieb.
Hagge setzte sich für folgende Ziele ein:
- Verbleib der Landesregierung in Schleswig
- Fortführung der Kreisbahnstrecke nach Kropp
- gegen Ferngas, Beibehaltung des Schleswiger Gaswerkes
- für die Zuckerfabrik - wurde 1953 verwirklicht
- für den ZOB - wurde 1955 verwirklicht
- für die Kreisberufsschule - wurde 1956 verwirklicht
Typisch für ZOB und Berufsschule sind die "gelben Strandziegel".
- gegen die Umgehungsstraße, dafür Erweiterung der Friedrichstraße
- für ein neues Einkommensteuergesetz; er war in Bonn im Ausschuß
für Ausschuß für Finanzen und Wirtschaft
1945-1950
Am 21.9.1945 wurde der Konteradmiral a.D. Bernhard Rogge neuer Landrat
in Schleswig. Er war Kapitän des Hilfskreuzers Atlantis, der im atlantischen
und Indischen Ozean erfolgreich auf Kaperfahrt ging. Am 2.11.1945 wurde
er ohne Angabe von Gründen wieder abgesetzt. Es wird vermutet, daß
die Engländer von seinen Todesurteilen erfuhren, die er noch bei Kriegsende
fällte - oder sie nahmen ihm seine erfolgreichen Kaperfahrten übel.
Abgelöst wurde er von Dr.Hans Hinrichs - vorher kommissarischer Bürgermeister
von Schleswig. Wegen "angegriffener Gesundheit und beruflicher Überlastung"
trat Hinrichs bald wieder zurück. Am 13.6.1946 erhielt Johannes Hagge
seine Ernennung zum Landrat. Diese Stellung entspricht unserem heutigen
Kreispräsidenten. 13)
Eine seiner bekanntesten Reden hielt Hagge 1946 anläßlich der
Diskussion um die Verlegung der Landesregierung von Schleswig nach Kiel.
Christiansen schrieb dazu: "Die Stimmung war gereizt, da Johannes
Hagge in einer Stellungnahme am 15.August 1946 zur Entscheidung über
den Regierungssitz "grobes Geschütz" aufgefahren hatte.
Er hatte mit dem Hinweis auf die Mordanklagen im Nürnberger Prozeß
zur Verlegung der Landesverwaltung nach Kiel gesagt: "... in der Art
und Form ... sei sie ... auch ein Mord der Demokratie ... . Wenn die Verlegung
so vor sich gehe, ... verpflichtet dieses alle wahren Demokraten nicht
nur zu protestieren, sondern auch alle Ämter zur Verfügung zu
stellen, um nicht Mörder der Demokratie zu werden." Er hatte
ferner behauptet: "Grenzpolitisch ist das Vorhaben Wahnsinn ... Die
Verwaltung hat Schleswig schon für Dänemark abgeschrieben. Sie
verläßt Schleswig wie Ratten das sinkende Schiff."
14) Über seine Zeit als Bundestagsabgeordneter schrieb der ehemalige
Schleswiger Bürgermeister Hermann Clausen:
15) "Von 1949-1953 gehörte er als Abgeordneter der CDU und Vertreter
des Wahlkreises Schleswig dem ersten Bundestag an. Da ich auch als Vertreter
der dänischen Minderheit gewählt wurde, hatte Schleswig zwei
Vertreter in Bonn. Wir fuhren dann oft denselben Weg von Schleswig nach
Bonn und zurück und trafen uns in der Hauptstadt der Bundesrepublik
am Rhein. Dieser Landrat (CDU) und dieser Bürgermeister (Slesvigsk
Parti) waren "en Pott und en Pann", wenn es um Schleswig ging."
Darüberhinaus gab es auch persönliche Bindungen:
Als sich Clausen darüber beklagte, daß die CDU dem scheidenden
Bürgermeister Clausen nicht ihren Dank ausgesprochen hätte als
sie ihren CDU-Mann als Bürgermeister gewählt hatte, "bestellte
mein Kollege zwei große Dujardin, hob sein Glas, lächelte und
sagte: "Prost Hermann!" Vor mir saß der im Kreis Schleswig
direkt gewählte CDU-Bundestagsabgeordnete Johannes Hagge, der gleichzeitig
Stadtverordneter der Stadt und Landrat des Kreises Schleswig war. Er nahm
den Vorwurf ohne Erwiderung entgegen und wir blieben Freunde."
1950-1964
Am 15.5.1950 wurde Johannes Hagge vom Kreistag für 9 Jahre zum
Landrat gewählt. Einmalig war daran, daß er sowohl die Stimmen
der CDU als auch die der Opposition bekam. Es wurde nun von ihm erwartet,
daß er demnächst seine Mandate als Stadtverordneter, Landtagsabgeordneter
(Neuwahl im Juli) und später auch als Bundestagsabgeordneter abgeben
würde. Diese Erwartungen erfüllte er aber nicht, denn den MdB-Posten
behielt er. Darüberhinaus weigerte sich der Innenminister, Hagge als
Landrat zu bestätigen, weil er nicht die fachliche Qualifikation für
dieses Amt besaß. Als Hagge dann nach Kiel fuhr, um mit ihm darüber
zu diskutieren, stand er vor einem leeren Büro. Er ließ nun
seine Beziehungen spielen, was den Innenminister doch einlenken ließ.
In den Akten des Innenministeriums kann man lesen, wie genau er weiter
beobachtet wurde. Denn 1950 wurde auch ein Gerücht registriert, wonach
Hagge angeblich 28.000 DM unterschlagen hätte, wofür es aber
doch keinen Anhaltspunkt gab. 16) Als 1952 die Diskussion über die
Aufstellung eines CDU-Kandidaten für die kommende Bundestagswahl aufkam
und Hagge wieder kandieren wollte, stellte seine Partei Kai-Uwe von Hassel
auf, der 1953 auch gewählt wurde. Dies nahm Hagge zum Anlaß,
aus der CDU aus- und in die FDP einzutreten.
1954 zog er über die Landesliste der FDP in den Landtag ein.
Die Doppelfunktion Landrat und Bundestagsabgeordneten brachte ihn in Konflikte.
1953 warf ihm Bürgermeister Lorenzen bei der Diskussion um die Ferngasversorgung
vor, vertrauliche Mitteilungen, die er als Landrat erhalten hatte, als
Bundestagsabgeordneter zum Nachteil der Stadt veröffentlicht zu haben.17)
Seit 1950 bot Hagge in Anzeigen auch Spirituosen an. Süßwaren
(Bonbons) bot er auch an, welche er von dem selbständigen Zuckerbäcker
Johannsen bezog, der sie in seinem Hause Gallberg 2 herstellte.
Neben seinem Hauptgeschäft im Gallberg 2 mit acht Angestellten verfügte
er noch über vier "Tante-Emma" - Filialen in der Friedrichstraße
45-47, Verkaufsleiter: Jäger, Pulverholz 3: Ingrid Finke, Lollfuß
39: Waldemar Mede, Eckernförde: Fick. 18) Er selbst logierte in der
Dienstwohnung des Landrates im Kreishaus. Besonders aktiv war er im Immobiliengeschäft,
z.B. bei Spekulationen mit den Wohnblocks in der Heinrich Philippsen-Straße.
1954 begann ein Schriftverkehr mit dem Innenministerium wegen seiner geschäftlichen
Nebentätigkeiten. Der Minister sah es als unvereinbar an, daß
er sich neben seiner Arbeit als Landrat auch als Geschäftsmann betätigte.
Hagge stritt dies mit der Begründung ab, daß er ja eine Geschäftsführerin
(Greggersen) hätte, die diese Arbeit für ihn erledigte.
Ein weiterer Fall wurde vom Innenminister minutiös observiert:
Der Gemüsegroßhändler Hinrichsen war in finanzielle Schwierigkeiten
geraten. Um seine Verbindlichkeiten zu erfüllen, wollte er ein großes
Grundstück südlich vom "Hühnerhäuser" als
Bauland verkaufen. Die Stadt weigerte sich aber aus unerfindlichen Gründen,
dieses Areal als Bauland auszuweisen. 19) So kam es in den Zwang. Hagge
ersteigerte es und veräußerte es einen Monat später mit
guten Gewinn an den Kreis Schleswig, der darauf die Kreisberufsschule errichtete.
Hinrichsen klagte jetzt gegen Hagge vor dem Landgericht in Flensburg, bekam
Recht und erhielt den Gewinn aus dem Geschäft zugesprochen. Dagegen
legte Hagge vor dem Oberlandesgericht in Schleswig Berufung ein, doch schlief
der Prozeß 1958 ein. 20)
Heute hätte dieser Fall in der Zeitung eine große Resonanz gefunden.
Warum das damals unterblieb, lag sicher an dem Chefredakteur Dr.Fritz Michel,
der selbst noch viel mehr verbergen hatte und deshalb überhaupt kein
Interesse an irgendwelchen Enthüllungen hatte. 21) Hinrichsen starb
1965.
Die Konflikte erreichten 1955 einen ersten Höhepunkt, als die Stadt
Schleswig gegen Hagge eine Dienstaufsichtsbeschwerde wegen Verkehrsbeschränkungen
im Friedrichsberg einreichte. 22)
1956 erlitt er in einer Sitzung einen Schwächeanfall. Seitdem blieb
er immer öfter wichtigen Sitzungen fern oder verließ sie ohne
Begründung vorzeitig. Eine offizielle ärztliche Untersuchung,
die seine Dienst(un)fähigkeit feststellen sollte, zögerte er
immer wieder hinaus. Als die Diagnose Schlaganfall feststand, weigerte
er sich, seinen Posten freiwillig zu räumen. Über die Gründe
stellte das Innenministerium Mutmaßungen an: Brauchte er das volle
Landratsgehalt, weil er in finanziellen Schwierigkeiten steckte? Das Finanzamt
wollte ja auch noch ausstehende Steuern eintreiben. Der Verfasser hat sich
darüber Gedanken gemacht: Kleine Lebensmittelgeschäfte kamen
damals zunehmend unter Druck und die Immobilien brauchte er für seine
Altersversorgung, weshalb er sie nicht so einfach verkaufen konnte. Er
steckte wohl in einem Liquiditätsengpass.
1957 wurde er zwangspensioniert.
Jürgen Thee äußerte sich dazu anläßlich der
Vereidigung des neuen Landrates Dr.Kühl:
"Der Kreistag sei mit ihm, dem Kreispräsidenten, der Auffassung
gewesen, daß der bisherige Landrat sein Amt nicht wieder ausfüllen
könne. Schwierigkeiten hätten zur Zwangspensionierung geführt.
Diese Notwendigkeit schließe eine Verabschiedung in einer würdigen
Form aus, wie wir sie alle in diesem Hause gewünscht hätten".
23)
* Bild 3: Marianne Greggersen
"Ruschi" Greggersen - die 2. Frau an seiner Seite (1909-1998)
Marianne Greggersen war Schleswigerin, den Spitznamen Ruschi erhielt
sie in der Kindheit. Sie erlernte bei Hagge den Beruf des Kaufmannes und
führte seine Buchhaltung, während ihr Bruder Wilhelm 1948 das
Hauptgeschäft im Gallberg 2 leitete. Sie liebte Hannes, hätte
ihn gerne geheiratet, aber er wehrte solches Ansinnen ab mit der Erklärung,
daß er seiner Frau auf dem Sterbebette versprochen hätte, nie
wieder eine andere zu heiraten. Das war für ihn sehr praktisch, konnte
er doch so den kriegsbedingten Frauenüberschuss nutzen und zahlreiche
Liebschaften pflegen. Nach seinem Schlaganfall zog er mit Frl. Greggersen
in die Flensburger Str. 19, wo sie ihn bis zu seinem Tode pflegte. Ihr
gemeinsames Haus in Hamburg - Herderstraße wurde verkauft und sie
zog in ihr Haus im Lollfuß 98b, wo sie bis 1995 mit zwei Schwestern
lebte. 24)
Nachruf und drei Charakterisierungen
Am 10.1.1964 starb Johannes Hagge. In einem Nachruf schrieb die Zeitung
u.a.:
"Johannes Hagges Name und Wirken sind eng mit der Nachkriegsgeschichte
von Kreis und Stadt Schleswig verbunden. Als Wirtschaftler, Kommunalpolitiker,
Abgeordneter und als Landrat des Kreises Schleswig stand Hagge mehr als
ein Jahrzehnt im Blickpunkt einer weiten Öffentlichkeit. Hagge ist
damals eine der populärsten Persönlichkeiten Schleswigs gewesen.
... Wer gewisse Geschehnisse und Erscheinungen seines Wesens in den letzten
Jahren seines aktiven Wirkens verstehen will, wird für manches wohl
in der Krankheitsgeschichte die Erklärung und die wahren Ursachen
finden. ... Er lebte in einer immerwährenden Spannung zwischen seiner
sozialen Herkunft und seinem durch kaufmännische Tätigkeit erworbenen
Status. ... Für den Aufbau der Kreisfinanzen in den Jahren seiner
Tätigkeit an der Spitze der Kreisverwaltung sagt ihm der Kreis Schleswig
in einem Nachruf Dank. ... Hagge hat seinerzeit das ganze Gewicht seiner
Persönlichkeit und seinen weitreichenden Einfluß dafür
geltend gemacht, daß dieser große Wirtschaftsbetrieb (die Zuckerfabrik)
nach Schleswig kam. Unbeschadet der Frage, ob die Entscheidung unter anderen
Gesichtspunkten richtig war oder nicht: in dem ZOB-Gebäude hat Hagge
so etwas wie ein Denkmal für sich selber in seiner Vaterstadt gesehen,
und daß er eigenwillig auch die Kreisberufsschule baute, braucht
hier ebenfalls nicht verschwiegen zu werden.
Hagge ist in seinem Leben gern seine eigenen Wege gegangen und hat sich
deshalb nicht selten mit Freunden und Gegnern auseinandersetzen müssen.
Das kam in Schleswig besonders zum Ausdruck, als seine Parteifreunde ihn
vor die Wahl stellten, sich zwischen dem Amt des Landrats und dem des Bundestagsabgeordneten
zu entscheiden. Hagge wollte beides sein. Daß er daraufhin nicht
wieder aufgestellt wurde, hat er nie verwunden. Nach dem Schlaganfall von
1956 war Hagge nicht zu bewegen, von sich aus auf sein Amt als Landrat
zu verzichten. So kam es zu der notwendigen Abwahl. Dann ist es still um
ihn geworden. Seine unbestrittene einstige Popularität ist ihm in
allen Jahren seines Leidens als warme Sympathie und als tiefes menschliches
Mitgefühl erhalten geblieben. Johannes Hagge war ein Selfmademan.
Er hat für seine wirtschaftlichen Unternehmungen und für seine
politische Arbeit große Energien eingesetzt. Dabei war er sich bewußt
- und er konnte seinem Wesen nach nicht anders - daß er sich mit
seiner Umgebung auseinandersetzen mußte. Er hat es mit unbändiger
Leidenschaft getan und darin alles Glück und alles Leid erlebt, das
Männern seiner Art nicht erspart bleiben kann. Freund und Gegner haben
allerdings jederzeit gewußt, daß sie es in Johannes Hagge mit
keinem geringen zu tun hatten. Es hat Hagge mit Stolz und tiefer Freude
erfüllt, daß er, der Arbeitersohn, an führender Stelle
seiner Vaterstadt und des Heimatkreises wirken konnte. Es war ihm eine
große Genugtuung für seinen Einsatz, daß er Landrat des
Kreises wurde. In dem Amt des Landrats und in dem Amt des freigewählten
Bundestagsabgeordneten erreichte Hagges Leben nach seinen Vorstellungen
den Höhepunkt und die Erfüllung. So ist das Leben Johannes Hagges
nicht ohne Glanz und nicht ohne Tragik gewesen. Was er im Dienst der Heimat
tat und schuf, wird ihm über sein irdisches Dasein hinaus gedankt."
25)
"Während des Krieges fuhr Hannes Hagge notgedrungen mit dem Fahrrad
zwischen Wohnung Geschäft hin und her, und zwar mit einem Damenfahrrad.
Er benutzte das Fahrrad mit einer so würdevollen Haltung, als würde
es von einem Chauffeur gelenkt. Gleichzeitig grüßte er höflich
nach links und rechts durch ein ständiges Lüften seines steifen
blauen Huts, mit dem man ihn in der Öffentlichkeit stets sah. Hierfür
mag seine frühe Glatze die Ursache gewesen sein. Auf jeden Fall war
Hannes Hagge bereits zu jener Zeit eine respektable Erscheinung."
"Seine Stärke war der ungekünstelte Kontakt mit der Bevölkerung
in Stadt und Land, die er mit seinem gesunden Menschenverstand stets anzusprechen
wußte. Daß er, wenn irgend möglich, plattdeutsch sprach,
versteht sich von selbst. Denke ich an jene Jahre zurück, während
der ich ihn täglich erlebte, so wäre zu sagen, daß ihn
Ämter und Ehren niemals auch nur in irgendeiner Weise hätten
hochmütig werden lassen. Er blieb warmherzig, zugänglich und
stets dem Volk verbunden und vergaß keineswegs seine politischen
Anfänge und seinen beruflichen Werdegang. Sehr viele rümpften
seinerzeit die Nase über die Schlichtheit ihres Landrats und Abgeordneten
und mokierten sich darüber, daß er in der deutschen Sprache
nicht immer ganz sattelfest war. Diese Mitbürger übersahen dabei
Tüchtigkeit und Erfolg von Hannes Hagge bei der wirtschaftlichen Ankurbelung
im Kreisgebiet."26)
"Mittel für kulturelle Institutionen hielt Hagge allerdings für
ziemlich überflüssig. Er war ein Original. Selbstbewußt
ging er mit seinem nach hinten geschobenen "Unternehmerhut" durch
die Straßen und hieß daher im Volksmund "Hannes mit dem
Hot"." 27)
Bilder:
Bild 1: Johannes Hagge: Handbuch des Bundestages 1949-1953
Bild 2: Gallberg 2: vom Verfasser
Bild 3: Marianne Greggersen: Hans Greggersen
Bild 4: Hannes Hagge SN 13.5.1950
Anmerkungen
1) LAS Abt 605 Nr 540
2 ) SN 9.10.1961
3 ) Handbuch des Schleswig-Holsteinischen Landtags 3.Wahlperiode 1954,
S.258
4 ) LAS Abt. 460.12
5 ) Theo Christiansen Schleswig 1836-1945, S.64
6 ) Am 13.1.1938 wurde der Betrieb im Bahnhofshotel eingestellt. Stadtarchiv
Abt. 10 Nr. 540
7 ) SN 26.1.1929
8 ) Gemeinschaftsarchiv Schleswig, Abt. 12 Nr. 531
9 ) SN 1.8.1931
10 ) LAS Abt 605 Nr 540
11 ) LAS Abt. 460.12
12 ) SN 13.5.1950
13 ) Gemeinschaftsarchiv: Dr.Schartl
14 ) Theo Christiansen Schleswig 1945-1962, S.66
15 ) Clausen, Hermann: Der Aufbau der Demokratie in der Stadt Schleswig
nach den zwei Weltkriegen, Flensburg, 1966,S.286
16 ) Personalakte von Johannes Hagge, Landratsamt Schleswig
17 ) SN Januar 1953
18 ) Mündliche Mitteilungen von Hans und Freya Greggersen, Schleswig
im März 2006
19 ) Mündliche Mitteilung von Frau Inka Maisel, Tochter von Hinrichsen,
Schleswig im Febrauar 2004
20 ) LAS Abt. 355 Nr. 401
21 ) Falk Ritter: Dr. Fritz Michel, 1895-1978, Hauptschriftleiter der ãSchleswiger
NachrichtenÒ 1923-1937, 1949-1965, S.121-155
22 ) SN 3.12.1955
23 ) SN 27.8.1957
24 ) Mündliche Mitteilungen von Hans und Freya Greggersen, Schleswig
im März 2006
25 ) SN 11.1.1964
26 ) Beiträge zur Schleswiger Stadtgeschichte, 1991: Kahlke, Gerhard:
Jugenderinnerungen an Schleswig - 1943 bis 1960 , S.21-22
27 ) Theo Christiansen Schleswig 1945-1962, S.54