Leben, Leiden und Sterben im Friedrichsberg von 1667 bis 1803,
eine statistische Annäherung.
von Falk Ritter, Schleswig

Veröffentlicht in: Beiträge zur Schleswiger Stadtgeschichte 2016, S.17 bis S.27
Korrektur im Jahre 2017

Schleswiger Grippe-Quarantäne im Jahre 1712 - siehe Kapitel 6

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1. Einleitung
a) In seinem Buch "Schleswig in der Gottorfer Zeit 1544 - 1711" schrieb Kellenbenz auf Seite 52 im Kapitel über die "Bevölkerungsverhältnisse": "Ein wichtiger Zugang zur Stadtgeschichte eröffnet sich heute dem Historiker über die quantitative Aufschlüsselung der Bevölkerungsverhältnisse. Steuer- und Wehrlisten, Verzeichnisse der Bürgeraufnahmen, Totenbücher, ja Friedhofsgrabungen können uns Aufschlüsse über Bevölkerungsentwicklung eines Gemeinwesens geben. Auf Grund der Listen von Herdfeuern oder Haushaltsvorständen können wir mittels eines "Reduktionsfaktors" Schlüsse auf die Gesamtbevölkerung ziehen. Darüber hinaus fragt man nach dem Heiratsalter, der Geburtenhäufigkeit, der Lebenserwartung, dem Aufbau der "Bevölkerungspyramide", der Kindersterblichkeit, dem Anteil der "aktiven Bevölkerung", der prozentualen Verteilung von Männern und Frauen. Viele dieser Fragen sind vorläufig für das "Schleswig", das es hier zu schildern gibt, noch nicht beantwortbar. Es ist überhaupt fraglich, ob ein der quantitativen Demographie genügendes Gesamtbild je zustandekommen wird."
b) Skierka bemerkt in seinem Buch "Schleswig in der Statthalterzeit 1711-1836" zum Thema Bevölkerungsverhältnisse auf Seite 55: "Es ist schwer, über diesen Bereich etwas allgemein Zutreffendes auszusagen, weil zwar in den Akten und in der Literatur viele Einzelangaben gemacht werden, diese für sich allein aber nur geringe Aussagekraft haben. Es fehlen zuverlässige Statistiken über längere Zeiträume mit genügender Bandbreite. Deshalb lassen sich Fragen nach der allgemeinen Bevölkerungsbewegung (Zuzug, Wegzug, landsmannschaftliche Herkunft, soziale und berufliche Stellung) nur unzureichend beantworten. Auch die Angaben über das Heiratsalter oder die Lebenserwartung männlicher und weiblicher Einwohner lassen kein gesichertes Allgemeinurteil für den besonderen Bereich der Stadt Schleswig zu. Die Säuglings- und Müttersterblichkeit z. B. war im 18. Jahrhundert hoch. Das ist eine allgemein bekannte Tatsache; sie läßt sich indes am Beispiel Schleswigs aussagekräftig nicht bestätigen."
Der Verfasser kann nicht nur einige dieser bisher ungelösten Fragen beantworten, sondern er hat darüber hinaus Antworten auf Fragen gefunden, die von Kellenbenz und Skierka nicht gestellt wurden.

2. Quellen
Die ergiebigsten Quellen waren:
a) die Kirchenbücher der Friedrichsberger Kirche, die schon im Jahre 1667 beginnen. Die Kirchenbücher vom Dom beginnen erst 1712, St. Michaelis im Jahre 1763.
b) die Volkszählungsliste von 1803, von der nur das 8. Quartier = Friedrichsberg ausgewertet wurde.
c) die Bevölkerungszahlen von Schleswig aus dem Jahre 2016 1)
d) LAS Abt. 7 Nr. 5969 Medizinalsachen u. a. Krankenlisten aus dem Friedrichsberg 1712 Sept. 7 - 1713 Jan 5 (Pest)
e) Geschichte und Beschreibung der Stadt Schleswig von Johannes von Schröder. Er erwähnte folgende Epidemien:
1712 höchst gefährliche ansteckende Krankheit
1717 gefährliche Krankheit - der Krampf
1724 pestartige Krankheit )2)
Über Bevölkerungsbewegungen wegen Zuzug oder Wegzug geben die kirchlichen Quellen keine Auskunft. Nur wenn die Verstorbenen von außerhalb kam, wurde ihre Herkunft erwähnt.
Der Volkszählungsliste von 1803 kann man auch die Herkunft von reisenden Personen entnehmen.
Die Friedrichsberger Beliebung von 1638 besitzt leider keine Akten mehr aus der Zeit vor 1926, weshalb sie als Quelle ausscheidet.
Der Verfasser wählt die statistische Methode, um Rückschlüsse auf das Leben, Leiden und Sterben der Friedrichsberger im Zeitraum 1667-1803 zu ziehen. Von 1667 bis 1803 wurden 1737 Copulationen (Hochzeiten), 5932 Taufen und 6305 Beerdigungen gezählt. Mehr Beerdigungen als Taufen könnten zu dem Fehlschluss führen, dass die Bevölkerung rückläufig war. Denn "Es ist ein allgemeines Charakteristikum des vorindustriellen Europa, dass in den Städten die Sterblichkeit höher als die Geburtenrate lag und dass, um die Bevölkerungszahl zu halten, sich die Stadtbevölkerung durch Zuwanderung vom Lande, wo meistens ein Geburtenüberschuss herrschte, aus anderen Städten und aus dem Ausland ergänzen musste." 3)

3. Copulationen (Hochzeiten):
Die folgende Graphik zeigt in der roten Linie die jährlichen Copulations-Zahlen für den Zeitraum 1667 bis 1803.


Bild:1: Copulationen

Da diese Kurve sehr unübersichtlich ist, wurde sie mit der Methode des "gleitenden Mittelwertes geglättet", siehe blaue Kurve. 4)
Ergebnis: Der Verfasser konnte keine Besonderheiten im Verlauf der jährlichen Copulations-Zahlen entdecken. Im Copulationsregister war nicht vermerkt, wie alt die Brautleute waren. Der Volkszählungsliste von 1803 war aber die Altersdifferenz der Ehepaare zu entnehmen. So wurden im Friedrichsberg 305 Ehepaare gezählt, bei denen der Mann im Durchschnitt 5 Jahre älter als die Frau war. 2013 betrug die Altersdifferenz bei der Heirat in Deutschland 4 Jahre. 5)

4) Tod
Anbei die "geglätteten" Kurven (Breite 9) für die jährlichen Todesfälle von 1667 bis 1803, nach Kindern und Erwachsenen aufgeschlüsselt.
Bild: 2-tod-beide

Im Schnitt starben pro Jahr 19 Kinder und 27 Erwachsene. Im Totenregister wurden Kinder immer als Söhnlein bzw. Töchterlein bezeichnet. Vermutlich wurden damit alle Kinder bezeichnet, die noch nicht konfirmiert waren, also jünger als 14 Jahre alt waren. Die beiden Kurven verlaufen weitgehend parallel mit Ausnahme des Zeitraumes von 1686 bis 1694. Hier ist eine erhöhte Kindersterblichkeit zu verzeichnen. Ursache war vermutlich eine Influenza, die bevorzugt Kinder befiel, weil die Erwachsenen gegen die gleiche Erkrankung durch eine frühere Infektion immun waren. Ein ähnliches Muster war 1918-1920 durch die "Spanische Grippe" bekannt geworden. Siehe dazu auch das 5. Kapitel "Taufen und Hunger".
Das politische Umfeld sah damals so aus: Von 1684 bis 1689 musste Herzog Christian-Albrecht auf Druck des dänischen Königs Christian V. Schloß Gottorf verlassen. Über das Jahr 1686 schrieb Johannes von Schröder: "1686 betrugen die Kosten, welche die 12 Wochen dauernde Einquartierung des dänischen Generalstabes verursachte, 15,273 Rthlr.; die Einwohner, selbst die vornehmsten, wurden mit Schlägen gemißhandelt." Kellenbenz beschrieb auf Seite 39 die Zustände auf Gottorf im Jahre 1689 so: "Das Gottorfer Schloß hatte in der Abwesenheit des Herzogs beträchtlich gelitten."
Besonders aufschlussreich waren die Zahlen von 1760 bis 1803. Denn ab 1760 wurde in den Kirchenbüchern genau erfasst, in welchem Lebensjahr die Menschen starben. Auf dem folgenden Graph wurde "exakt" aufgetragen, wie viele Menschen in welchem Lebensjahr starben.


Bild: 3-Mengen pro Todesalter

Auffallend ist eine hohe Sterblichkeit im ersten Lebensjahr.

Der nächste Graph zeigt die exakten Todesjahre aufgeschlüsselt für Mädchen und Jungen bis zum 14. Lebensjahr: Dabei fällt auf:
- Eine hohe Anzahl von Totgeburten = 0 Jahre
- Sowohl bei Totgeburten als auch im 1. Lebensjahr liegen die Zahlen der Jungen = blaue Kurve deutlich über denen der Mädchen = rote Kurve. Die absoluten Zahlen für diese Altersklassen betragen 515 Jungen und 370 Mädchen.


Bild: 4-Todesjahr 0-14

Es gilt nun die Frage zu beantworten, warum so viele Kinder im ersten Lebensjahr starben. War es vielleicht die mangelnde Hygiene jener Zeit?
Mangelnde Hygiene gab es aber seit Anbeginn der Menschheit und war noch nie etwas Besonderes. Aber warum starben besonders viele Kinder bereits im 1. Lebensjahr?
Der Schleswiger Stadtrat Pauly veröffentlichte 1937 "Die Säuglingssterblichkeit in Schleswig-Holstein." 6) Bei seinen Untersuchungen kam er zu folgenden Ergebnissen:
- In der Stadt Schleswig starben im Zeitraum 1883 bis 1894 14,4 % der ehelichen und 29,5 % der unehelichen Kinder im ersten Lebensjahr.
- Ursachen waren Ernährungsstörungen, Erkrankungen der Atmungsorgane und Lebensschwäche.
- Er berichtete über eine Untersuchung aus Berlin des Jahres 1906. Danach starben im 1. Lebensjahr: 9,2 % der Brustmilchkinder 45,7 % der Tiermilchkinder 45,1 % der Surrogat-Kinder
- Surrogate waren: Hafer und Reis, weicher Zwieback und Mehlbrei mit Milchzusatz, Beikost in Form von Brot oder Kartoffeln und Kuhmilch.
- Er kam zu dem Schluss, dass Muttermilch die beste Versorgung für das Baby ist.
- Die unehelichen Kinder waren besonders gefährdet, weil die Mutter berufstätig war und deshalb wenig Zeit zum Stillen hatte.
- Häufig wussten die Mütter auch gar nicht, wie wichtig das Stillen ist.
- Die Säuglingssterblichkeit war niedrig unter den Friesen und Jüten, aber hoch in Niedersachsen und bei den "Kolonisten".


Bild: 5-stillende Madonna

Dass männliche Säuglinge ein höheres Sterberisiko haben als weibliche, ist eine bekannte Tatsache. Der Verfasser hatte sich bei seiner Arbeit über das Amerikanische Kinderheim in Schleswig unausgesprochen (!) gefragt, wieso die Jungen bei der Schulspeisung in Flensburg während des 1. Weltkrieges gegenüber den Mädchen bevorzugt wurden. Die Jungen bekamen nämlich täglich 2/3 Liter Milch, während die Mädchen mit nur 1/2 Liter auskommen mussten. Seine Vermutung, dass dies etwas mit der patriarchalischen Gesellschaftsordnung zu tun hatte, muss er nun verneinen. Die Jungen sind wohl in der Aufzucht viel störungsanfälliger und anspruchsvoller als die Mädchen und wurden deshalb bevorzugt verpflegt. 7) Das Sterberisiko für Jungen ist in Europa und Nordamerika sogar von 10 % im Jahre 1751 auf 30 % im Jahre 1970 angestiegen, wie Drevenstedt et. al. 2008 herausfand.8)

In den Geschichtsbüchern wird immer wieder von einer hohen Sterblichkeit der Mütter gesprochen. Deshalb wurden Männer und Frauen zwischen dem 16. und 46. Lebensjahr verglichen, welches der fruchtbare Zeitraum für Frauen ist. Die Kurven wurden mit der Breite 5 geglättet.


Bild: 6-Todesjahr 16-46

In diesem Altersabschnitt starben 198 Frauen und 192 Männer. Eine erhöhte Müttersterblichkeit ist nicht erkennbar. Dies ist so zu erklären: Jedes Mädchen, das es damals unter diesen harten Bedingungen schaffte, ins gebärfähige Alter zu kommen, hatte eine strenge biologische Auslese durchlaufen (survival of the fittest), sodass die Geburt von Kindern für sie weitgehend problemlos ablief.

5) Taufen und Hunger
Bis August 1763 wurde nur das Datum der Taufe vermerkt, danach das Datum von Geburt und Taufe. Meist wurde innerhalb einer Woche nach der Geburt getauft. Der Verfasser fand im Vergleich der jährlichen Tauf-Zahlen von 1667 bis 1803 keine Besonderheiten, weshalb sie hier graphisch nicht gezeigt werden. 9) Interessant war aber das Verhältnis von getauften Jungen zu getauften Mädchen. Für jedes Jahr wurde errechnet, wie das Verhältnis Jungen zu Mädchen war. Die entstandene Kurve wurde zusätzlich mit der Breite 11 geglättet:


Bild: 7-Taufen-Quotient

Der Quotient der geborenen Jungen zu Mädchen beträgt heutzutage 1,06. Das heißt: auf 106 Jungen kommen bei der Geburt 100 Mädchen.
Im Taufregister wurden 3056 männliche und 2876 weibliche Geburten erfasst.
Der Quotient Jungen zu Mädchen beträgt in dieser Untersuchung 1,062, also ein ganz normaler Wert.
Schaut man sich die Graphik an, so sieht man neben normalen jährliche Schwankungen einen bemerkenswerten Zeitraum von 1702 bis 1709. Hier fällt der Quotient im Jahre 1705 sogar bis auf 0,84. Der derzeitige Stand der Wissenschaft erklärt das damit, dass von 1699 bis 1709 die Friedrichsberger erheblich unter Hunger gelitten haben müssen. Diese Schlussfolgerung wird getragen durch die Untersuchung von Shige Song aus dem Jahre 2012. Sie fand nämlich heraus, dass mit dem "Großen Sprung" in China im Zeitraum von April 1960 bis Oktober 1963 das Verhältnis von geborenen Jungen zu Mädchen von 1,09 auf 1,04 fiel. Ähnliches wurde schon vorher vom Holländischen Hungerwinter 1944-1945 und der Belagerung von Leningrad 1942 berichtet. 10)
Die Ursache der Hungersnot im Friedrichsberg kann man bei Johannes von Schröder nachlesen: "1700 hatte die Stadt eine sehr drückende Einquartierung von Truppen, unter dem General-Lieutenant v. Bannier, wie die von der Friedrichsberger Commune übergebene Vorstellung beweiset, worin sie sagen, daß sie ausser 2 ganzen Compagnien mit 109 Weibern und Kindern, noch 26 Hofbediente im Quartier hätten, daß sie im Allgemeinen, und besonders wegen der Abwesenheit des Hofes, sehr verarmt wären, bloß von ihren Kohlgärten lebten, und viele Häuser leer stünden."
Einquartierungen gab es im Friedrichsberg außerdem noch in den Jahren 1699, 1701, 1707, 1708 und 1709. 11) Die Zeit der Einquartierungen deckt sich exakt mit dem gefallenen Tauf-Quotienten.
Der Anstieg der Kindersterblichkeit 1686-1694 (siehe Kapitel 4 Tod) war wohl nicht auf Ernährungsmangel zurück zu führen, denn der Quotient ist in diesem Zeitraum nicht gefallen.
Zur Differential-Diagnose "Hungersnot" siehe Anmerkung 12)

6. Die Pest?-Epidemie von 1712 (1709-1712), Grippe-Quarantäne
In dieser Zeit herrschte im Ostseeraum eine große Pest-Epidemie, die 1 Mio. Menschen das Leben gekostet haben soll.
Im Jahre 1712 wurden im Friedrichsberg Häuser von Kranken vernagelt, die im Verdacht standen, unter einer ansteckenden Krankheit zu leiden. Ursache war eine Epidemie, die als Pät, Pest und Contagion bezeichnet wurde. Sie konnte schon seit 1709 zunehmend in den Kämmerei-Rechnungen "wegen Contagion" nachgewiesen werden. Es gab 10 Kranken-Visitationen zwischen dem 7.9.1712 und dem 3.1.1713. Dabei untersuchten im Auftrage der Stadt Schleswig Hinrich Schmidt und ein Herr Amerpohl alle Kranken und Hotelgäste im Friedrichsberg. Welchen Beruf Schmidt und Amerpohl ausübten, konnte nicht geklärt werden. Sicher ist nur, dass sie keine Barbiere (Amtschirurgen) waren. Amerpohl wohnte im Friedrichsberg, war kein Hausbesitzer und seine Familie gehörte auch zu den Erkrankten.
Folgende Erkrankungen wurden diagnostiziert:
32 % Fieber
19 % Zahnfieber und Zahnschmertzen nur bei Kindern
16 % Schwindtsucht (TBC)
13 % Brust - Erkrankungen
7 % Kopf - Erkrankungen
5 % Stein und Kolik
4 % Gliederschmerzen
4 % Hertzenbangigkeit 13)
3 % Magenweh
2 % Nodt von Anfall
2 % ein Stich in der Seitten
2 % Fluß an der Lende

Weitere Erkrankungen im 1 %-Bereich:
Lähmung aller Glieder
von Schrecken krank
umbschlag und Bluth stürtzung
so sich verdrieß gethan
in Eiierr Kranckheit befallen
ein Stich in der Schulter von schrecken
ein Fluß am Auge
Contzact an alle Glieder
am Wörmer
am Windt Pocken
am Pocigraun
am Arm
am Ardt Hundte
Wassersucht.

Insgesamt waren es 114 Erkrankungen, wobei einige Personen unter mehreren Symptomen litten. Da die Akten sehr unsystematisch geführt wurden, gab es keine Hinweise auf die Anzahl der Häuser, Personen ,Kranke und der daraus resultierenden Prozentzahlen.
Die Quarantäne-auslösende Krankheit kann nicht die Pest gewesen sein, weil keine der Symptome darauf hinweisen.
Zahnentzündungen lösen normalerweise kein Fieber aus. Deshalb mutmaßt der Verfasser, der von Beruf Zahnarzt ist, hinter dem Begriff Zahnfieber die Gleichzeitigkeit von Zahnschmerzen und Fieber. Ungewöhnlich erscheint, dass nur Kinder unter Zahnschmerzen und Zahnfieber litten. 13a)
Es gibt drei wichtige Krankheitssymptome, die zur Verwunderung des Verfassers nicht erwähnt wurden:
Husten, Schnupfen und Durchfall.
Für ihn ist es unvorstellbar, dass niemand im Friedrichsberg darunter gelitten haben soll. Denn für häufiges Husten sprechen die schlecht belüfteten Räume mit offenen Feuerstellen. Erkältung muss bei unzureichender Heizung auch weit verbreitet gewesen sein. Es gab große Defizite bei der Hygiene, insbesondere fehlte sauberes Wasser, was zu Durchfällen führen musste. Husten, Schnupfen, Durchfall und Zahnschmerzen bei Erwachsenen müssen so häufig gewesen sein, dass sie wohl als "normal" galten und nicht als Krankheit eingestuft wurden.
Der Verfasser vermutet wegen der vielen Fieber-Fälle eine Grippe-Epidemie. Eine erhöhte Sterblichkeit war im Jahr 1712 aber nicht erkennbar, siehe Bild 7a.
Über den "Auf der Freiheit" eingerichteten Pestkirchhof schrieb Ulrich Petersen:
"Als Ao. 1712 die Pest sich allhier in etwas einschliche, ward diese Sternschanze zu einem Pestkirchhof ausersehen, worauf aber nur wenig Leute begraben worden, weil, Gott sei Dank, die Pest durch gute Anordnung bestmöglichst praecaviret und bald gedämpfet ward." 13b)

Bild 7a: Jährliche Todeszahlen

7. Die Blattern-Epidemie im Jahre 1778
Blattern (Pocken) war die einzige Todesursache, die in den Kirchenbüchern erwähnt wurde. Und zwar in den Jahren 1771, 1778, 1783 und 1792. Von den 26 erwähnten Blattern-Toten starben allein 16 im Jahre 1778. Das waren 41 Prozent der gestorbenen Kinder dieses Jahres. Eine erhöhte Kinder-Sterblichkeit konnte dadurch aber nicht nachgewiesen werden. Peter Plett aus Klein Rheide (8,5 km südlichwestlich von Schleswig gelegen) war übrigens 1790 weltweit der Erste, der Menschen erfolgreich gegen Pocken impfte. 14)

8. Bevölkerungspyramiden-Vergleich zwischen 1803 und 2016. 15)
Im Jahre 1803 hielt eine Volkszählung unter Anderem das Alter und Geschlecht der Personen fest. Diese Volkszählung wurde mit den Zahlen des Schleswiger Ordnungsamtes aus dem Jahre 2016 verglichen. Es wurden verglichen: der Friedrichsberg von 1803 mit der Stadt Schleswig von 2016. Um die Zahlen vergleichbar zu machen, wurden sie in Prozente umgerechnet. Auf der Y-Achse ist der Anteil an der Gesamtbevölkerung vom Friedrichsberg bzw. der Stadt Schleswig in Prozent angegeben. Auf der X-Achse wurden die Altersgruppen zu je 5 Jahren aufgetragen. Rote Linie = weiblich, blaue Linie = männlich.


Bild: 8-Bevölkerungspyramide Friedrichsberg 1803



Bild: 9-Bevölkerungspyramide Schleswig 2016

Im Vergleich zu 1803 fällt auf, dass in 2016 die jüngeren Jahrgänge unterrepräsentiert sind, was der "Pille" zu verdanken ist. 1803 gab es 971 weibliche und 947 männliche Einwohner im Friedrichsberg 2016 zählte Schleswig 13.101 weibliche und 12.599 männliche Bürger.

10. Beerdigung "ohne ceremony"
In der ersten Hälfte des Untersuchungszeitraumes wurde bei einigen Verstorbenen "ohne ceremony" vermerkt, bei denen es sich überwiegend um Kinder handelte. Die Not der Zeit, Ungetaufte, ansteckende Krankheiten und andere Gründe wie ein unehrenhafter Status der verstorbenen Person führten wohl zu dieser Bestattungsform.


Bild: 10-ohne ceremony

Bildernachweis:
- Die Graphen stammen alle vom Verfasser
- stillende Madonna: https://de.wikipedia.org/wiki/Stillen

Anmerkungen:
1) LAS Abt. 412 Nr. 12 - Volkszählungsliste Der Verfasser dankt Frau Kröger vom Schleswiger Einwohnermeldeamt für die Bereitstellung der Bevölkerungsliste am 14.6.2016.

2) Geschichte und Beschreibung der Stadt Schleswig, 1827, Johannes von Schröder, gedruckt im Taubstummen-Institut zu Schleswig

3) Riis, Thomas: Leben und Arbeiten in Schleswig-Holstein vor 1800. Kiel, Ludwig, 2009, Seite 184.

4) https://de.wikipedia.org/wiki/Gleitender_Mittelwert So funktioniert das: es wurden für jedes Kalenderjahr der Mittelwert von 9 Jahren gebildet (= Breite 9). Drei Beispiele: 1700 = Mittelwert der Jahre 1696 bis 1704 1701 = Mittelwert der Jahre 1697 bis 1705 1701 = Mittelwert der Jahre 1698 bis 1706 Durch diese Methode fallen natürlich die ersten und letzten 4 Jahre weg (1667-1670 und 1800-1803)

5)https://www.destatis.de/DE/Publikationen/Thematisch/Bevoelkerung/Bevoelkerungsbewegung/Bevoelkerungsbewegung2010110137004.pdf;jsessionid=2014B22FA2184DCFB6623289539C3EC4.cae2?__blob=publicationFile und http://www.sueddeutsche.de/leben/altersunterschied-bei-paaren-partnerwahl-ist-keine-privatangelegenheit-1.1800467

6) Die Säuglingssterblichkeit in Schleswig-Holstein : Bericht / erstattet von Stadtrat Pauly, Bibliothek des Landesarchivs, Schleswig Signatur: E I 1937

7) Ritter, Falk: Amerikanisches Kinderheim Schleswig-Holstein in Schleswig. Beiträge zur Schleswiger Stadtgeschichte 2013, Hohnsbehn, Harald: Die Flensburger Schuljugend in der Zeit des Ersten Weltkriegs, Flensburg 1991. Schriften der Gesellschaft für Flensburger Stadtgeschichte E.V. Nr. 49

8) Greg L. Drevenstedt, Eileen M. Crimmins, Sarinnapha Vasunilashorn, and Caleb E. Finch The rise and fall of excess male infant mortality PNAS 2008 105 (13) 5016-5021; published ahead of print March 24, 2008, doi:10.1073/pnas.0800221105

9) Die jährlichen Tauf-Zahlen: 1667: 5, 1668: 11, 1669: 33, 1670: 42, 1671: 58, 1672: 73, 1673: 69, 1674: 73, 1675: 70, 1676: 49, 1677: 54, 1678: 41, 1679: 41, 1680: 35, 1681: 18, 1682: 50, 1683: 57, 1684: 45, 1685: 32, 1686: 55, 1687: 49, 1688: 51, 1689: 47, 1690: 46, 1691: 61, 1692: 42, 1693: 45, 1694: 53, 1695: 42, 1696: 55, 1697: 36, 1698: 53, 1699: 40, 1700: 40, 1701: 40, 1702: 50, 1703: 42, 1704: 39, 1705: 50, 1706: 31, 1707: 62, 1708: 33, 1709: 39, 1710: 50, 1711: 36, 1712: 37, 1713: 44, 1714: 30, 1715: 39, 1716: 31, 1717: 37, 1718: 38, 1719: 32, 1720: 39, 1721: 36, 1722: 35, 1723: 43, 1724: 36, 1725: 46, 1726: 32, 1727: 28, 1728: 29, 1729: 46, 1730: 29, 1731: 45, 1732: 45, 1733: 48, 1734: 43, 1736: 47, 1737: 40, 1738: 44, 1739: 41, 1740: 43, 1741: 48, 1742: 44, 1743: 56, 1744: 46, 1745: 44, 1746: 53, 1747: 45, 1748: 33, 1749: 49, 1750: 38, 1751: 28, 1752: 32, 1753: 33, 1754: 32, 1755: 38, 1756: 32, 1757: 39, 1758: 38, 1759: 46, 1760: 55, 1761: 33, 1762: 41, 1763: 50, 1764: 33, 1765: 42, 1766: 27, 1767: 38, 1768: 37, 1769: 42, 1770: 47, 1771: 38, 1772: 30, 1773: 44, 1774: 32, 1775: 41, 1776: 40, 1777: 46, 1778: 52, 1779: 42, 1780: 42, 1781: 45, 1782: 66, 1783: 41, 1784: 36, 1785: 44, 1786: 41, 1787: 46, 1788: 65, 1789: 46, 1790: 51, 1791: 49, 1792: 47, 1793: 49, 1794: 51, 1795: 46, 1796: 46, 1797: 58, 1798: 62, 1799: 55, 1800: 63, 1801: 58, 1802: 63, 1803: 52

10) Shige Song: Does famine influence sex ratio at birth? Evidence from the 1959-1961 Great Leap Forward Famine in China. Proceedings Of The Royal Society B. Published 28 March 2012.DOI: 10.1098/rspb.2012.0320 http://rspb.royalsocietypublishing.org/content/279/1739/2883 Shige Song benutzte eine andere numerische Darstellung für den Quotienten, weshalb der Verfasser ihn umgerechnet hat, um eine bessere Vergleichbarkeit zu den eigenen Daten zu haben.

11) Mai, Heinz: Gottorfisches Kriegsvolk in Schleswig - Ausschuss, Einquartierung und Garnison von 1623 bis 1713. Beiträge zur Schleswiger Stadtgeschichte, Heft 39, Seite 64-66.

12) Der Vollständigkeit halber soll noch erwähnt werden, dass es auch eine Erklärung für eine Erhöhung des Quotienten gibt: Werte deutlich über 1,06 deuten auf eine Hepatitis-B-Infektion der Eltern hin, wie Emily Osterburg herausfand. Betrachtet man die o. a. Graphik mit den Taufen-Quotienten, so findet man zwar auch hier Jahre mit deutlich erhöhten Werten. Sie sind aber gleichmäßig verteilt, somit Erscheinungsbild der normalen Schwankungsbreite und der Gesamt-Quotient des untersuchten Zeitraumes beträgt 1,062. Quelle: Emily Osterburg: Hepatitis B and the Case of the Missing Women Harvard University [ Journal of Political Economy, 2005, vol. 113, no. 6] 2005 by The University of Chicago. All rights reserved. 0022-3808/2005/11306-0001$10.00
Wir wissen heute, dass Mädchenüberschüsse auch durch Umweltbelastungen ausgelöst werden können. Die Dioxin-Vergiftung beim Seveso-Unglück im Jahre 1976 ist ein Beispiel dafür: "Eine Studie zeigte eine vollständige Umkehr des Verhältnisses der Geschlechter. Obwohl in der Bevölkerung allgemein ein Verhältnis von 106 Männern auf 100 Frauen vorzufinden ist, beträgt dieses in Seveso 48 Frauen zu 26 Männern. Dies weist auf eine umfassende Änderung des hormonalen Stoffwechsels hin." Quelle: P. A. Bertazzi, I. Bernucci, G. Brambilla, D. Consonni, A. C. Pesatori: The Seveso studies on early and long-term effects of dioxin exposure: a review. In: Environmental health perspectives. Band 106 Suppl 2, April 1998, S. 625-633, ISSN 0091-6765. PMID 9599710. PMC 1533388 (freier Volltext). (Review). gefunden in: https://de.wikipedia.org/wiki/Sevesounglück: Da es damals kein Dioxin gab, fällt Dioxin als Ursache für den Mädchenüberschuss aus.

13) Schmidt und Amerpohl waren mit der Diagnose "Hertzenbangigkeit" wissenschaftlich auf dem Stand der Zeit. 1707 veröffentlichte Ernst Stahl sein Werk "Animismus". Damit war er der Begründer der Psychosomatik. Für diesen Hinweis dankt der Verfasser Herrn Dr. Rainer Taistra. Siehe dazu https://de.wikipedia.org/wiki/Psychodynamismus

13a) Die offizielle Lehrmeinung dazu ist, dass Zahnfieber beim Durchbruch von Milchzähnen entsteht. Diese Meinung wird vom Verfasser nicht vertreten.

13b) Philippsen, Heinrich: Alt-Schleswig. Bergas, Schleswig 1928, Seite 176.

14) https://de.wikipedia.org/wiki/Peter_Plett

15) In dieser Darstellung wurde der Übersichtlichkeit wegen nicht die klassische "Tannenbaum-Architektur" der Bevölkerungspyramide gewählt.
Die männlichen und weiblichen Kurven wurden übereinander gelegt und um 90 Grad im Uhrzeigersinn gekippt.
1803 wohnten im Friedrichsberg 971 weibliche und 947 männliche Menschen. (eigene Zählung)
Da Gesamtschleswig 1769 über 5629 Einwohner und 1803 über 7823 Einwohner verfügte, errechnet der Verfasser für den Friedrichsberg 72% von 1918 Einwohner (1803) = 1381 im Jahre 1769. Riis a. a. O. Seite 321
Da das Schleswiger Ordnungsamt keine gesonderten Zahlen für den heutigen Friedrichsberg besitzt, hat der Verfasser selbst eine Berechnung angestellt. Ihm standen für das Jahr Jahre 2013 zur Verfügung:
- die Gesamtzahl der Schleswiger Einwohner = 23.585 . Quelle: Haushaltssatzung der Stadt Schleswig des Jahres 2014
- bei der Kommunalwahl am 26.5.2013 gab es 20.012 Wahlberechtigte in der ganzen Stadt. Davon entfielen 4232 auf den Friedrichsberg. Quelle: Schleswiger Nachrichten von 27.5.2013.
- die Wahlkreise im Friedrichsberg überschneiden sich nicht mit denen der Stadt Schleswig
- Daraus errechnet sich die ungefähre Menge der Friedrichsberger Einwohner = 4987.
- Dazu muss man aber auch sagen, dass die Wohngebiete hinter den heutigen Bahngleisen im Jahre 1803 noch nicht existierten.
- Auch gab es im Friedrichsberg von 1712 bis 1803 nur folgende Straßen: Gottorfstraße, Kleinberg, Friedrichstrasse, Busdorfer Straße, Husumer Baum, Kapaunenberg, Hornbrunnen, Schulberg, Karpfenteich und Rudolfsberg.