Wie drei Schleswiger Mädchen 1935 und
1936
Deutsche Meister über 3 mal 100 Meter Kraul wurden
von Falk Ritter, 1. Juli 2007
* Bild 1: Erna Goos, Elfriede Schumacher und Gundela Titschack 1936
1. Einleitung
Bei einer Zeitungs-Recherche über die ersten Photos in den Schleswiger
Nachrichten, die regelmäßig seit 1924 erschienen, entdeckte
der Verfasser das Bild von drei Schleswiger Mädchen, die 1936 die
Deutsche Meisterschaft über 3 mal 100 Meter Kraul in der Kategorie
"Vereine ohne Winterbad" errungen hatten. Erstaunlicherweise
wurde in der Chronik des Turn- und Schwimmvereins Schleswig (TSV), die
er 1989 zu seinem 125jährigen Bestehen herausgegeben hatte, darüber
kein einziges Wort verloren. War der TSV doch 1937 durch die Fusion von
Schwimmverein Schleswig (SVS) und Verein für Leibesübungen (VfL)
hervorgegangen. Und der 1.Vorsitzende des TSV Giese war vorher der Leiter
des SVS.
2. Die ersten Freibäder
Der Grobbäcker Jeß Marxen inserierte 1830 im Intelligenzblatt
auf Seite 270: "Die hinter meinem Hause befindlichen Badehäuser
an der Schlei sind auf´s neue in Stand gesetzt, und stehen vom 12ten
d.M. an zur Benutzung. Wegen der sehr bedeutenden jährlichen Unterhaltungs-Kosten
können einzelne Bäder, wozu eine volle Stunde bestimmt ist und
wobei auf Verlangen ein reines Hand-Tuch gereicht wird, nicht unter 6 ß
v. C. gegeben werden. Dagegen wird das Dutzend Badekarten zu 1 Species
überlassen." (heutige Lage: Lollfuß 83)
Der Zimmermeister Schultz inserierte 1832 auf Seite 322:
"Meine hieselbst in der Gegend der Schiffbrücke neugebaute schwimmende
Badeanstalt ist jetzt zur Aufnahme für Badende eingerichtet; wer außer
den resp. Herren Subskribenten von dieser Badeanstalt Gebrauch zu machen
geneigt sein sollte, wolle sich deshalb an den Herrn Siemsen an der Schiffbrücke
wenden, wo Einlaßkarten und Schlüssel zu haben sind. Für
die Badekammer bezahlt à Person 6 ß C. für die Schwimmeinrichtung
à Person 3 ß C."
Wenn es aber jemand wagte, außerhalb dieser Badehäuser in die
Schlei zu steigen, so bekam er es mit der Polizei zu tun, wie 1834 zu lesen
war: "Wenn abermals Beschwerde im Polizeiamte darüber geführt
werden, daß Knaben und selbst Männer, alle Scham verleugnend,
es sich herausnehmen, unmittelbar an den Promenaden und Gärten an
der Schlei zu baden; so werden die wider das Baden in der Nähe besuchter
Örter, der Wohnungen und Örter früher erlassenen Polizeiverbote
in Erinnerung gebracht und haben die Kontravenienten ernste Ahnung zu gewärtigen."
Schleswig, im Königlichen Polizeiamte, den 29sten Juli 1834, Jessen
Zum Baden dienten damals Hütten, wo man hinter einer heruntergelassenen
Markise ins Wasser tauchen konnte. Es gab auch Badekarren, in denen man
sich umkleidete und die mit Pferden ins Wasser gezogen wurden. Später
kamen schwimmende Pontons dazu. An Badestellen existierten: die Freiheit,
das Louisenbad, Domziegelhof (heute bei der Strandhalle), Lollfuß
83, Kleinberg, Marienbad und Geelsand, was östlich davon lag. Das
Louisenbad wurde 1891 vom Verkehrs- und Verschönerungsverein geschaffen
und mit einem Pavillon eröffnet. 1905 wurde dort ein Restaurant eingerichtet.
(SN 29.5.1969)
Ende Juli des Jahres 1910 (siehe SN) fand das große "Propaganda-Schwimmfest"
im Marienbad statt. Das Motorboot "Wanderer" sorgte für
die Verbindung zur Altstadt. Gäste kamen aus Kiel, Hamburg und Wandsbek,
während hochgestellte Persönlichkeiten Grußworte abhielten.
Ziel war es, die Schleswiger für den Schwimmsport zu begeistern, wofür
die unterschiedlichsten Wassersportaktivitäten vorgeführt wurden.
Hier trug man auch zum ersten Male den Wunsch nach einem Winterschwimmbad
vor.
* Bild 2: Das Luisenbad um 1900
3. Gründung des Schwimmvereins Schleswig (SVS) 1921
SN 22.7.1921: Eine außerordentliche Versammlung hielt man gestrigen
Abend der 1.Schleswiger Fußballverein von 1906 e. V. im Fährhaus
an der Freiheit ab. Zur Verhandlung standen in der Hauptsache die Wahl
eines 1.Vorsitzenden und die Loslösung der Unterabteilung des Schleswiger
Schwimmvereins, vom Hauptverein. Zum 1.Vorsitzenden wurde der bisherige
2.Vorsitzende Herr Dambeck gewählt. Einstimmig wurde beschlossen,
der Loslösung des Schleswiger Schwimmvereins zuzustimmen, dessen Mitglieder
sich bekanntlich am vorigen Sonnabend zu einem selbständigen Schwimmverein
zusammengeschlossen haben. Die Versammlung erklärte sich damit einverstanden,
daß der neue Verein den alten Namen "Schleswiger Schwimmverein"
weiterführt. Auf Grund dieses Beschlusses hält der Schleswiger
Schwimmverein am kommenden Sonnabend im Louisenbad seine konstituierende
Generalversammlung ab, in der die endgültigen Vorstandswahlen vorgenommen
werden sollen.
1927 übernahm die Stadt Bad und Gelände Louisenbad und verpachtete
es an den Kaufmann und späteren Landrat Johannes Hagge (Gemeinschaftsarchiv
Schleswig, Abt. 12 Nr. 531). 1929 fand die Einweihung der neuen Schwimmbahn
und des Sprungturms durch den Schwimmverein Schleswig statt. SN 22.7.1921
4. Der Siegeszug des SVS 1934-1936
Die schöne Badegelegenheit an der "Freiheit" ging 1934 verloren,
als das Gelände vom Militär in Anspruch genommen wurde. Als Ersatz
wurde im folgenden Jahr ein etwa dreihundert Meter langer Badestrand östlich
vom Louisenbad geschaffen. Ein Saug- und Spülbagger wurde eingesetzt,
um die erforderlichen Sandmengen westlich der Möweninsel zu entnehmen.
(SN 29.5.1969)
Die Reichsschwimmwoche Ende Juni 1934 war der Auftakt zu der großen
Siegesserie des SVS. Wenn die Schleswiger Schwimmer und Schwimmerinnen
auf Bezirks-, Gau- und Reichsebene antraten, dann "räumten"
sie fast alles ab, was zu gewinnen war. In diesem Beitrag wird nur die
"Spitze" beschrieben, die sich aber auf eine breite Basis von
guten und hochmotivierten Schwimmern gründete. Ihr äußeres
Kennzeichen war die dunkle Badekleidung mit drei großen weißen
Sternen. Die beiden Höhepunkte wurde in den SN so beschrieben:
5. Die Deutsche Meisterschaft 1935
SN 13.8.1935: Zu dem Empfang der gestern abend zurückgekehrten Mädels
der Deutschen Meisterstaffel über 3x100 Kraulschwimmen für V.o.W.
(Vereine ohne Winterbad) hatten sich außer den Eltern der Schwimmerinnen
viele Mitglieder des Schwimmvereins und Freunde des Schwimmsports auf dem
Hauptbahnhof eingefunden. Auf einen so herzlichen und feierlichen Empfang
waren die Schwimmerinnen nicht vorbereitet. Man sah ihnen kaum die Anstrengungen
der Tage des Trainings und des Schwimmens in Plauen sowie der langen Reise
von der über 700 km entfernt liegenden Stadt der Deutschen Schwimm-Meisterschaften
1935 an. Frisch und froh betraten sie die Halle des Bahnhofs und waren
nicht wenig erstaunt, ao viele Freunde vorzufinden. Der Vereinsleiter des
SVS Richard Giese begrüßte die Mädels mit herzlichen Worten
und überreichte jedem einen Strauß Rosen. Er führte in
seiner Begrüßungsansprache aus, daß die Stadt Schleswig
und insbes. der SVS stolz seine auf die vollbrachte große Leistung,
eine deutsche Meisterschaft erkämpft zu haben. Es sei das erste mal,
daß diese höchste deutsche Auszeichnung im Sport nach Schleswig
gebracht werde. Er beglückwünschte sie namens des Vereins und
hoffe, daß der Sieg in Plauen reiche Früchte im Interesse einer
gesunden Weiterentwicklung des Schwimmsports in Schleswig tragen werde.
Mit einem von der Menge begeistert ausgerufenen "Gut Naß Hurra"
für die 3 Meisterschwimmerinnen und einen Sieg heil auf unser deutsches
Volk und unsern Führer schloß der Vereinsleiter des SVS seine
Begrüßungsansprache.
Anschließend sprach ihnen der Kreisvertrauensmann des Reichssportführers,
E.Lütt, die herzlichsten Glückwünsche aus. Jetzt erst konnten
die von der Ehrung sichtlich ergriffenen Mädels ihre Eltern und Freunde
begrüßen. Jede der drei Schwimmerinnen, Erna Goos, Gundela Titschack
und Elfriede Schumacher, hat wie alle andern deutschen Meister und Meisterinnen
die große goldene Siegerplakette des Fachamtes Schwimmen im Reichsbund
für Leibesübungen erhalten.
Jede Schwimmerin ist damit deutsche Meisterin geworden.
Ueber die feierliche Siegerverkündung und Ernennung der deutschen
Meister und Meisterinnen in Anwesenheit führender Persönlichkeiten
in Plauen sowie über den Kampf selbst werden wir morgen ausführlich
in einem Stimmungsbild von den deutschen Meisterschaften im Schwimmen 1935
berichten. Es sei heute nur erwähnt, daß die Mannschaft in Plauen
ein großes Rennen in der neuen deutschen Bestzeit für V.o.W.
von 4 Min. 32,8 Sekunden lieferte. Die beste Zwischenzeit schwamm Erna
Goos mit 1 Min. 29 Sek., dann folgte Gundela Titschack mit 1 Min. 30,5
Sek. und Elfriede Schumacher mit 1 Min. 33,3 Sek. Die Schwimmerinnen, insbesondere
Elfriede Schumacher, haben im Training schon bessere Zeiten geschwommen.
Startfieber und Aufregung bei einem Rennen um die deutsche Meisterschaft
in Anwesenheit vieler kritischer Beobachter, großer Konkurrenzen
und einer Riesenzuschauermenge machen das aber durchaus begreiflich. Im
uebrigen war E.Schumacher, wie sich nachher herausstellte, gesundheitlich
nicht in bester Verfassung. Selbst alte routinierte Schwimmer auf der Kampfbahn
der deutschen Meisterschaften blieben hiervon längst nicht immer verschont.
Die Mädels des SVS haben sich blendend geschlagen und ihre Vaterstadt
kann stolz sein auf so tüchtige Schwimmerinnen und den Verein, der
ihnen den Weg gewiesen hat.
Bild 3: Goldmedaille in Plauen gewonnen
14.8.1935 SN: Der Schwimmverein Schleswig in Plauen i.V.
Der SVS hatte die Mannschaft daher auch in Voraussicht dieser Umstände
einige Tage vor den Rennen, das am Sonntag nachmittag programmäßig
pünktlich um, 17.30 Uhr gestartet wurde, reisen lassen und diese Maßnahme
hat sich als unbedingt richtig erwiesen. Die drei Schwimmerinnen fanden
sich gut ein und gingen verhältnismäßig ruhig an die Startblöcke.
Hier waren sie sich natürlich gänzlich allein überlassen,
nur umgeben von den Kampfrichtern. Die Mädels behaupten zwar, ziemlich
ruhig gewesen zu sein; ihnen mag aber doch das Herz höher geschlagen
haben, als der Starter die Pistole zum entscheidenden Schuß hob.
Denn frei vom Startfieber in diesen großen Kämpfen sind kaum
die routinierten Meister.
Wie die Meisterschaft gewonnen wurde.
Erna Goos stand nach dem durch Mikrofon angesagtem Kampf um die Staffelmeisterschaft
für Frauen 3 mal 100 Meter Kraulschwimmen für Vereine ohne Winterbad
(V.o.W.) auf dem Startblock, des Kommandos gewärtig. Sie kam mit gutem
Startsprung ab und lag schon nach wenigen Augenblicken in Führung
vor den zuerst hartnäckigsten Gegnern Schwimmverein Hof und Möve
Allenstein 1. Mannschaft Möve Allenstein galt in der Vorschau der
Fachpresse als mutmaßliche Siegerin. Bei der 50-Meter Wende hatte
die Schleswigerin schon einen Vorsprung von etwa 4 Metern herausgearbeitet,
den sie dann bis zum Wechsel auf etwa 5-6 Meter vergrößern konnte.
Die zweite Schwimmerin, Gundela Titschack, konnte bei dem guten Vorsprung
schon mit einiger Ruhe ins Wasser gehen. Sie schwamm einen ausgezeichneten
Stil und vergrößerte den Vorsprung. Die Schwimmerin von Hof
(Bayern) als nächstfolgende machte vergebliche Anstrengungen, wenigstens
den Abstand zu halten. Hof mußte aber nach dem letzten Wechsel, nachdem
für Schleswig Elfriede Schumacher gestartet war, den zweiten Platz
an die Allensteiner Möven, die vorjährigen Meisterinnen und Titelverteidigerinnen
abtreten, die sich langsam eine gute Position an zweiter Stelle erarbeiteten.
Die "Hessen" aus Worms, von denen man sich viel versprochen hatte
und die sich auch zuerst scharf ins Zeug legten, fielen zum Schluß
gänzlich ab. Elfriede Schumacher wurde, trotzdem sie gesundheitlich
nicht in bester Verfassung war, mit der Schlußschwimmerin von Möve
gut fertig. Sie konnte den Abstand gut halten und schlug als Erste mit
8 Meter Vorsprung vor Möve Allenstein 1 und S.V.Hof (Bayern) an. Neue
deutsche Bestzeit: 4 Minuten 30,8 Sekunden. ... Es gab goldene Plaketten
für den Sieger, silberne für den Zweiten und Bronce für
den Dritten. ... Als die drei Schleswiger jugendlichen Mädel, die
einzigen mit langen blonden Zöpfen, ihre Plaketten abholten und sich
in die Reihe der großen Meisterinnen stellten, rauschte starker Beifall
durch den Saal.
SN 16.8.1935:
Die Stadt Schleswig verleiht dem SVS eine Ehrenplakette Die Stadt Schleswig
hat dem Schwimmverein Schleswig in Anerkennung glänzenden Erfolges
seiner 3 mal 100 Meter Frauen-Kraul-Staffel auf den Deutschen Meisterschaften
in Plauen eine große silberne Ehrenplakette mit Widmung verliehen,
die anläßlich des Schwimmfestes am kommenden Sonntag überreicht
werden wird. Ferner hat die Stadt wiederum vier Wanderpreise für die
Schulstaffeln in Form von wertvollen Wandbildern zur Verfügung gestellt.
Sämtliche Ehrenpreise sowie die drei goldenen Plaketten der Meisterschwimmerinnen
sind im Schaufenster der Firma Hermann Jensen im Stadtweg ausgestellt.
Für die 3 mal 100 Meter Kraulstaffel der Frauen ist beim deutschen
Schwimmverband der Versuch angemeldet, die neue deutsche Bestleistung,
die von den drei Schleswigerinnen in Plauen erzielt wurde, weiter zu verbessern.
Der Rekordversuch wird am kommenden Sonntag anläßlich der Meisterschaften
im Louisenbad unternommen werden. (Der Versuch gelang und der deutsche
Rekord wurde um 8,5 Sekunden auf 4 Min. 24,3 Sek. verbessert.)
6. Die Deutsche Meisterschaft 1936
Die Siegeserie der Schleswiger Schwimmerinnen setzte sich auch im Jahre
1936 fort:
SN 20.7.1936: Glänzender Sieg unserer Schwimmerinnen in Halberstadt
Und wieder ist der große Wurf gelungen. Die Optimisten haben Recht
behalten, die Mädels haben es geschafft, so schwer diesmal auch die
Konkurrenz war. Gundela Titschack, Elfriede Schuhmacher und Erna Goos vom
Schwimmverein Schleswig haben gestern in Halberstadt, der Stätte der
deutschen Schwimmeisterschaften 1936, unter dem begeisterten Jubel von
tausenden von Zuschauern in einem bis zum Schluß spannendem Rennen
die 3x100 m Kraulstaffel für Frauen - Vereine ohne Winterbad - gewonnen
und damit zum zweiten Male eine deutsche Meisterschaft nach Schleswig geholt.
In der ausgezeichneten Zeit von 4 Min. 23.1 Sek. schlug die letzte der
Staffel drei Meter vor der so gefürchteten Schlußschwimmerin
Pophanken der starken Delmenhorster Mannschaft als erste an. Die Zeit der
Delmenhorster ist 4 Min. 24.6 Sek. Acht Meter zurück lag der Wormser
SC Poseidon. In weiterem Abstand folgten Hof 1911 und Wasserfreunde Stendal,
die aber alle in den spannenden Kampf Delmenhorst 1905 - SV Schleswig nicht
eingreifen konnten. Die Zeit des Vorjahres in Plauen - 4 Min. 32,8 Sek
ist um 9,4 Sekunden unterboten worden, eine Leistung, die bei dem frühen
Termin der Meisterschaften (viele Trainingsmöglichkeiten waren nicht
gegeben) niemand für möglich gehalten hätte. Die Bahn in
Halberstädter Stadion ist allerdings etwas leichter als unsere und
dann haben die Mädels auch kämpfen müssen, denn die Delmenhorster
haben ihnen was zu schaffen gemacht. Der Leiter des Fachamts Schwimmen
im DRL Haff-Berlin, hat den tüchtigen Schwimmerinnen sogleich nach
dem Kampf seine herzlichsten Glückwünsche zu dem Erfolge persönlich
übermittelt. Die siegreiche Staffelmannschaft trifft heute abend um
20.10 Uhr auf dem Hauptbahnhof ein. Die Mitglieder des SVS und die Schleswiger
Schwimmfreunde werden ihr einen herzlichen Empfang bereiten. Über
Einzelheiten berichten wir noch.
Bild 4: Goldmedaille in Halberstadt gewonnen
SN 21.7.1936:
Der Empfang der Meisterschwimmerinnen Zum Empfang der Meistermannschaft
des SVS Schleswig hatten sich gestern abend auf dem Hauptbahnhof zahlreiche
Mitglieder und Freunde des SVS eingefunden. Der Leiter des Schwimmvereins,
Giese begrüßte die Mädels zuerst und überreichte jedem
einen Rosenstrauß. Die in der Bahnhofshalle versammelten Schwimmer
und Schwimmerinnen empfingen die Meisterinnen mit einem begeisterten "Gut
Naß Hurra" Darauf begab sich alles nach dem "Louisenbad",
wo noch eine kurze Siegerfeier und Aussprache über die Erlebnisse
in Halberstadt erfolgte. Herr Giese fand hier nochmals herzliche Worte
der Anerkennung für die Meisterinnen, die er bat, nun nicht etwa auf
den Lorbeeren auszuruhen, sondern an sich weiter zu arbeiten in ihrem eigenen
Interesse und zum Wohl des Vereins. Auch der weiteren Mitarbeiter des Vereins
sowie insbesondere der Stadtverwaltung Schleswig, die gerade in letzter
Zeit viel für die Hebung des Schwimmsports in Schleswig getan hätte,
gedachte der Vereinsleiter mit warmen Dankesworten. Ein kurzes Plauderstündchen
über die Erlebnisse der Schwimmerinnen hielt die kleine Gesellschaft
noch kurze Zeit zusammen. Die Schwimmerinnen haben wieder - wie in Plauen
- goldene Siegesplaketten erhalten, die gestern abend bestaunt wurden,
denn es gibt nur wenige Sportler, die im Besitz dieser höchsten Auszeichnung
sind. Die Mädels haben um dieses Siegeszeichen aber schwer kämpfen
müssen und sie können sich jetzt mit berechtigtem Stolz ein weiteres
Jahr lang deutsche Meisterinnen nennen. Über den Kampf selbst, die
Siegerehrung usw. werden wir noch in einem Stimmungsbild ausführlicher
berichten. Die Mannschaft hat, was sie schon heute erwähnt, ein hartes
Rennen hinter sich. Sie hat mit 4 Min. 23,4 Sek. wirklich beachtliche Leistung
erzielt. Die beste Zwischenzeit schwamm Gundela Titschack mit 1 Min. 24
Sek.!! Sie ging vom Start und holte einen Vorsprung von etwa 6 Meter gegen
Delmenhorst als die folgende Mannschaft heraus. Elfriede Schumacher erreichte
die Durchschnittszeit von 1 Min. 34 Sek. Sie konnte den Vorsprung knapp
halten. Erna Goos hatte die gefährliche Pophanken, die schon 1 Min.
16 Sek.!! geschwommen hat, gegen sich. Sie mußte auch alles aus sich
herausgeben und konnte schließlich in der ausgezeichneten Zeit von
1 Min. 25 Sek. (!) ihre Gegnerin und die Folgenden in Schach halten. 1
Min. 21 Sekunden war die Zwischenzeit von Pophanken-Delmenhorst. Damit
war der Kampf entschieden. Die Begeisterung der Schleswiger war natürlich
groß. Wir freuen uns mit ihnen und beglückwünschen den
Verein, der so tüchtige Sportler hervorbringt.
7. Die siegreichen Drei
Gundela Titschack, 1920 in Schleswig geboren, Tochter eines Augenarztes,
verließ ihre Heimatstadt 1937, um mit ihren Eltern nach Berlin zu
ziehen. Sie heiratete, bekam drei Kinder und ging - wie ihr Sohn Udo Schimpff
bekannte - voll in der Mutterrolle auf. Sie bestritt nie wieder einen Schwimmwettkampf.
1980 starb sie.
Erna Goos heiratete 1939 den Soldaten Ernst Degner. Sie bekam zwei Kinder,
darunter Ingo Degner, einen bekannten Schleswiger SPD-Politiker und Direktor
der Taubstummenschule. Sie starb im Jahre 2003.
Elfriede Schumacher heiratete 1941 den Soldaten Karl Makoben. Sie starb
1959 in Schleswig.
8. Gaumeister Johannes Kröger
Neben den drei jungen Damen gab es auch einen herausragenden männlichen
Schwimmer, Johannes Kröger, der auch 1920 geboren wurde. Seine größten
Erfolge waren:
1934 Sieger über 400 m Kraulschwimmen für Männer auf dem
Gausportfest in Lübeck.
1935 Gaumeister mit der 4 x 100 m Kraulschwimm-Staffel in Harburg (Kröger,
J.Brodersen, K.A. Petersen, H.Lammers). Herbert Lammers von der 4. Eskadron
war bei den Olympia-Ausscheidungen der beste schleswig-holsteinische Schwimmer.
1936 Gaumeister über 1500 m Kraulschwimmen für Männer.
1936 Sieger im gauoffenen Langstreckenschwimmen in der Elbe über 7500
m für Männer.
1937 wie vorstehend, da wurde er aber disqualifiziert, weil er am Ziel
vorbeischwamm.
1937 Gaumeisterschaft über 1500 m Kraulschwimmen für Männer.
1937 Sieger im Schwimmen "Quer durch Berlin" über 6000 Meter
in der Klasse "Vereine ohne Winterbad" (VOW). Auf die Frage,
wie er es denn so lange in der ungeheizten Elbe und Spree ausgehalten habe,
antwortete Johannes Kröger dem Verfasser: "Wir haben uns mit
Erdnußöl eingerieben.
* Bild 5: Johannes Kröger 1936
9. Die Trainer "Ottsch" Siemers und Wilhelm Münster
Otto (Ottsch) Siemers ist allen älteren Schleswigern ein Begriff,
haben doch viele bei ihm das Schwimmen erlernt. Er wurde 1900 in Schleswig
geboren, wo er auch 1976 starb. Er führte eine kinderlose Ehe mit
Elli Dorothea Marie Marxen und übte den Beruf eines Wandersportlehrers
aus.
Wilhelm Münster wurde 1913 geboren. Er arbeitete als Verwaltungssekretär
bei der Stadt Schleswig, war Mitglied der SA seit 1933 und der NSDAP seit
1937. Gleich zu Beginn des Krieges wurde er als Kanonier eingezogen und
mit hohen Auszeichnungen geehrt wie z.B. dem EK I. 1943 erlitt er eine
tödliche Verwundung an der Ostfront. Der Nachruf seines Hauptmanns
lautete:
"Liebe Familie Münster, unfaßbar ist für uns der Verlust
unseres lieben guten Wilhelm. So manches Mal hat er mich auf Erkundungen
oder auf dem Weg zur B.Stelle begleitet. Gemeinsame Erlebnisse ließen
uns innerlich näher kommen. Getreu bis zum letzten, unermüdlich
für seine ihm unterstellten Männer sorgend, ist mir mein bester
Wachtmeister als tapferster Soldat der Batterie genommen worden. Es gab
nichts Unmögliches für ihn. In aufopfernder Kleinarbeit hat er
mir eine Nachrichtenstaffel geschaffen, die ihr Können und ihre Gesinnung
mehrmals unter Beweis stellten. Sein Draufgängertum und sein Geist
lebten in seinen Männern." Stadtarchiv röm 5 4. r. 56
* Bild 6: Wilhelm Münster
10. Gründe für Erfolg und Niedergang? des SVS
Johannes Kröger schrieb dem Verfasser im Jahre 2005:
"Trainer waren O.Siemers und W.Münster. Sie machten dies ehrenamtlich
mit großem Engagement. Durch dies Engagement kamen zahlreiche junge
Leute zum SVS. Ab 1934 zeigten die Trainingsarbeiten und das gute Vereinsklima
Erfolg, den Sie in Ihrem Schreiben als "Leistungsexplosion" bezeichnen.
Von da an konnte der SVS Teilnehmer zu überregionalen Schwimmwettkämpfen
wie Gaumeisterschaften und Deutschen Meisterschaften schicken. In den Jahren
1938 u. 1939 fanden, soweit ich mich erinnere, keine Gaumeisterschaften,
sondern nur regionale Wettkämpfe statt. Einige Schwimmkollegen (u.a.
J.Brodersen, K.A.Petersen) wurden zum Militär schon 1938 eingezogen.
Herbert Lammers wurde versetzt. Durch den Fortgang von Gundela Titschack
verlor die Damen-Kraulstaffel eine wichtige Stütze, die von einer
gleichwertigen Ersatzkraft nicht ersetzt werden konnte. Otto Siemers zog
auch aus Schleswig fort (nach Kiel) und W.Münster stand, so viel ich
weiß, auch nicht mehr voll zur Verfügung. So entstanden große
Lücken, und das Vereinsleben und die sportlichen Leistungen litten
darunter. Auch fehlte es an gutem Nachwuchs. Die Tätigkeit in der
Hitlerjugend nahm für viele Jugendliche viel Zeit in Anspruch.
Zu O.Siemers u. W.Münster:
Beide waren sportbegeisterte Amateure, besaßen gute Menschenführung
und verbreiteten immer Optimismus. O.Siemers war ein vielseitiger Sportler.
Er hat in der 1.Mannschaft von Schleswig 06 Fußball gespielt, konnte
recht gut schwimmen, war Kunstspringer von 3m-Brett und trainierte auch
einige Mädchen im Kunstspringen. Er war auch Mitglied der Wasserballmannschaft.
W.Münster war ein guter Wasserballspieler mit großem Einsatz.
Er hielt die aktiven Schwimmsportler mit großem Einsatz zusammen.
Aber auch die gute und umsichtige Arbeit des SVS-Vorstandes (Giese) muß
erwähnt werden. Er sorgte dafür, daß wir an überregionalen
Wettkämpfen teilnehmen konnten. Ich muß dem Vorstand besonderen
Dank für meine Förderung sagen, insbesondere Jacob Mohr (Schriftwart).
Zu dem Leistungsabfall ab 1938 möchte ich noch sagen: Wir, die Schwimmer
vom SVS, einem Verein ohne Winterbad, wären in Zukunft nicht mehr
konkurrenzfähig gewesen gegenüber Schwimmern mit Winterbad. Wir
konnten nur 4-5 Monate im Sommer trainieren. Der Leistungsabfall war also
relativ aber gravierend und nie aufholbar. Inzwischen hatten in Schleswig-Holstein
die Städte Kiel, Neumünster und Itzehoe ein Hallenbad. Schleswig
bekam aber erst nach dem Krieg [1970] ein Hallenbad."
SN 15.8.1939:
Schleswig - Die Stadt des Schwimmsports? Ueber die Ursachen des hoffentlich
nur vorübergehenden Rückganges des Schwimmsports nördlich
der Eider ist schon viel geschrieben worden und ob diejenigen, die behaupten,
daß allein das Fehlen der Hallenbäder hier in Schleswig und
Flensburg usw. die Hauptursache bildet, Recht haben, ist schwer zu beurteilen.
Trotz alledem ist der Betrieb in der Schwimmabteilung des Turn- und Schwimmvereins
Schleswig noch recht beachtlich, nur liegt er heute mehr in der Breitenarbeit,
was von manchem sogar für wertvoller gehalten wird.
* Bild 7: Ottsch Siemers
Anmerkung: Das Louisenbad heißt heute Luisenbad. Die Herkunft des Namens ist etwas dunkel. In Karten aus dem 19. Jahrhundert findet man dort Bezeichnungen wie Luunsbarg und Luseburg.
Herkunft der Bilder:
Bild 1: Drei Mädchen: SN 20.7.1936 und Udo Schimpff
Bild 2: Louisenbad ca. 1900: Foto Krauskopf
Bild 3: Goldemdaille: Herr Degner
Bild 4: Goldmedaille von Herrn Degner
Bild 5: Johannes Kröger: SN 9.7.1936
Bild 6: Wilhelm Münster: Else Beier
Bild 7: Ottsch Siemers: Michael Wriedt
Der Verfasser dankt: Else Beier, Torsten Dahl (Zeitleiste), Ingo Degner, Harald Ehlers, Johannes Kröger, Michael Wriedt, Udo Schimpff und Volker Marten für Informationen und Bilder.
Damit hundert ihren Körper bilden,
ist es nötig, daß fünfzig Sport treiben.
Und damit fünfzig Sport treiben,
ist es nötig, daß zwanzig sich spezialisieren.
Damit sich aber zwanzig spezialisieren,
ist es nötig, daß fünf zu überragenden Leistungen
fähig sind.
Pierre de Coubertin